"Die Grünen sitzen auf einem zu hohen Roß"

■ Zwanzig Erst- und Jungwähler äußern sich gegenüber der taz zu ihren Wahlpräferenzen. Nur einer von ihnen hätte die Grünen gewählt

Fast scheint es, als ob es sie nicht mehr gibt: die grünen Jungwähler im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage auf den Straßen in Friedrichshain, Charlottenburg sowie in der Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg wollte die taz am Dienstag von jungen Menschen wissen, welcher Partei sie bei den Berliner Abgeordnetenhauswahl am 10. Oktober ihre Stimme geben würden. Von 20 befragten jungen Frauen und Männern in der besagten Altersgruppe gab sich nur ein einziger junger Mann als Grünwähler zu erkennen. Sechs junge Menschen, die alle aus dem Ostteil der Stadt kamen, würden ihr Kreuzchen bei der PDS machen. Drei bekannten sich zur SPD, drei zur rechtsextremen DVU, zwei zur CDU und eine zur FDP. Vier waren noch unentschlossen. Mit den Grünen gingen die meisten von ihnen hart ins Gericht.

Wichtiges Kriterium, PDS zu wählen, ist Sympathie: „Gysi und Pau, daß sind frische Leute“, ist eine 18jährige Schülerin der Hohenschönhausener Wellington- Oberschule überzeugt. Zwei Schülerinnen des Köpenicker Nelly- Sachs-Gymnasiums finden das auch. Schröder trete immer „so arrrogant“ auf. Und Westerwelle wirke wie ein „Milchbubi“. Eine in Friedrichshain wohnende 19jährige Schülerin des Tiergartener Heinrich-Kleist-Gymnasiums wählt PDS, weil sie eine „linke Opposition“ wichtig findet. Den Bündnisgrünen verübelt sie, daß sie sich so gegen die PDS abgrenzen. „Dafür gibt es überhaupt keinen Grund.“ Ihr 21jähriger Freund, ein Geschichtsstudent, der bei der Bundestagswahl PDS angekreuzt hat, sagt: „Es ist wichtig, das Ostdeutschland vertreten ist.“

Vor dem S-Bahnhof Warschauer Straße stehen zwei junge Männer und eine Frau. Ein 20jähriger mit kurzgeschorenen Haaren und geschultertem Rucksack hat eine starke Fahne. Zwei volle Bierflaschen gucken aus den Hosentaschen. „Wenn ich nicht besoffen bin, wähle ich NPD, sonst DVU“, lallt er und brüllt laut nach „Wotan“, seinem Schäferhund. Eine 18jährige blasse Frau in schwarzer Kunstlederjacke schimpft über die Ausländer. Vor allem die Jugendlichen würden immer dreister. Ein 19jähriger Bäcker aus Friedrichshain und seine 18jährige Freundin, eine angehende Frisöse, wollen sich erst noch ein bißchen informieren. „Was nützt uns die beste Umwelt, wenn wir kein Geld haben?“, deutete die junge Frau an, daß für sie nur eine der Großparteien in Frage kommt. Der Freund nickt.

Ortswechsel: Ein 23jähriger Koch, der auf dem Weg zum U-Bahnhof Sophie-Charlotte- Platz ist, gibt sich als CDU-Wähler und Diepgen-Fan zu erkennen. Bei einem Empfang im Schloß Charlottenburg habe er den Regierenden schon bedient, erzählt er. „Der läßt sich von den Bonnern nicht alles gefallen. Außerdem kennt der Berlin lange genug“, preist der Koch Diepgens Vorteile.

Eine 22jährige Jurastudentin, die in Charlottenburg in einem Zigaretten-Abholmarkt jobbt, fühlt sich am ehesten zur FDP hingezogen. „Die ist konservativ, aber trotzdem offen für neue Akzente.“ Bei dem Gedanken, grün zu wählen, schüttelt es die junge Frau regelrecht. „Grüne? Nein, niemals.“ Die Partei sei „scheinheilig“, agiere „zu schroff“ und sitze auf einem „hohen Roß“.

Der Vorwurf ist oft zu hören, die Grünen würden „keine überzeugende Umweltpolitik“ machen. Ein 20jähriger Charlottenburger SPD-Anhänger, der Lebensmitteltechnologie studiert, findet die Haltung der Grünen zu „starrköpfig“. Atomausstieg sei ja schön und gut, „aber man kann das auch ein bißchen sachter angehen.“ Was die Berliner Stadtpolitik betrifft, findet der Student, daß in Bezirken wie Kreuzberg mehr Polizeipräsenz vonnöten sei: „Neulich stand in der Zeitung, daß sich die Polizei nur noch in Mannschaftsstärke dorthin traut.“

Auch die alte Forderung der Grünen nach 5 Mark pro Liter Benzin wird der Ökopartei von einigen jungen Leuten negativ angekreidet. „Das ist eine umögliche Vorstellung“, findet eine 18jährige Schülerin des Schönberger Rückert-Gymnasiums. Die junge Frau, die in der Kantstraße auf dem Nachhauseweg ist, weiß noch nicht, welche Partei sie wählen soll. „Die ganze Schulpolitik muß sich kraß ändern“, meint sie.

Daß an die Grünen besondere Maßstäbe angelegt werden, zeigt sich auch bei der Frage der Kleiderordung. Vorgehalten wird ihnen, daß sie sich von einer Turnschuhpartei zu einer Nadelstreifenpartei gewandelt haben. „Der Fischer sieht doch aus, wie ein Dressman aus dem Quelle-Katalog“, mosert ein 19jähriger CDU- Wähler, der gerade seinen Wehrdienst abgeleistet hat.

Enttäuscht ist auch ein 23jähriger Student für Kommunikationswissenschaften, allerdings aus ganz anderen Gründen. Dem einzigen Grün-Wähler bei der Umfrage war von vornherein klar, daß die Regierungsbeteilgung auf Bundesebene nicht leicht werden würde. „Aber Trittin hätte sich von Schröder nicht so zurückpfeifen lassen dürfen“, sagt er frustiert. Plutonia Plarre