Todeskandidaten ohne Öffentlichkeit

■ In der japanischen Justizgeschichte treten erstmals zwei zum Tode verurteilte RAF-Mitglieder als Zeugen in einem Gerichtsverfahren auf

Tokio (taz) – „Kein öffentlicher Prozeß“, sagt der Gerichtsdiener in der Vorhalle des Tokioter Distriktgerichts, als wir zum Prozeß gegen Yukiko Ekita wollen. Die heute 49jährige Mutter Ekita steht als mutmaßliche „Terroristin“ vor Gericht. Der gestrige Prozeß fand wegen einer ungewöhnlichen Zeugenbefragung unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Denn erstmals in Japans Justizgeschichte wurden gestern zwei zum Tode Verurteilte – Masaji Daidoji und Yoshiaki Kataoka – zu einem Bombenanschlag vor 25 Jahren befragt.

Beim Anschlag auf das Konzerngebäude von Mitsubishi Heavy Industries in Tokio am 30. August 1974 starben acht Menschen und 385 wurden verletzt. Die Verantwortung übernahm die „Ostasiatische antijapanische bewaffnete Kampffront“ – eine Gruppe, die Anschläge auf japanische Konzernzentralen verübte. Die Front war der Meinung, daß Japans Industrie mit neokolonialistischen Mitteln eine aggressive Expansionspolitik betreibe. Auch verübte sie Anschläge auf Schreine der nationalistisch gefärbten Religion Shinto, das japanische Kaiserhaus und Einrichtungen der Regierung in Gebieten der Ainu-Minderheit in Hokkaido.

Yukiko Ekita war damals Mitglied einer Einheit der „Kampffront“ und wurde 1975 zusammen mit sieben weiteren führenden Mitgliedern festgenommen. Masaji Daidoji und Yoshiaki Kataoka wurden 1979 zum Tode verurteilt und befinden sich seitdem in Haft. Ekitas Freilassung wurde 1977 von der „Roten Armee Japans“ – Nihon Sekigun – mit der Entführung eines japanischen Flugzeugs von Paris nach Dhaka erzwungen. Erst danach wurde Ekita Mitglied der „Roten Armee Japans“ und lebte lange Zeit im Libanon.

Wie viele andere japanische RAF-Mitglieder verlor Ekita mit dem Fall der Berliner Mauer den Schutz osteuropäischer Staaten. 1995 wurde sie von Rumänien an Japan ausgeliefert. Ein Jahr später wurde ihre Freundin Kazue Yoshimura, die Nummer vier in der RAF-Hierarchie, in Peru verhaftet und ausgeliefert. Auch im Libanon wendete sich das Blatt. Dort sitzen seit Februar 1997 vier japanische RAF-Mitglieder in Haft. Auf freiem Fuß bleibt bis heute die Anführerin der „Roten Armee Fraktion“, Fusako Shigenobu (51), die als Mutter von drei Kindern in Libanon leben soll.

Der Prozeß gegen Ekita wird von der japanischen Presse ignoriert, obwohl er nicht ganz verfassungskonform geführt wird. Zwei Artikel in der Nachkriegsverfassung garantieren japanischen Angeklagten einen fairen und öffentlichen Prozeß, insbesondere wenn es sich um politische Vergehen handelt. Da in Japan zu Tode verurteilten Häftlingen keine Kontakte zur Öffentlichkeit erlaubt sind, wurde für die gestrige Befragung die Öffentlichkeit eigens ausgeschlossen. „Die Aussagen der beiden Häftlinge sind zur Entlastung meiner Klientin so wichtig, daß wir dem Ausschluß der Öffentlichkeit zugestimmt haben“, sagt Ekitas Anwalt Kawamura beschwichtigend. Nach der gestrigen ersten Zeugenanhörung zeigte sich Kawamura befriedigt. „Es ist alles korrekt verlaufen.“ Der Anwalt nimmt an, daß noch weitere Vernehmungen notwendig sind.

Weniger erfreut über den Ausschluß der Öffentlichkeit sind die Sympathisanten von Ekita, die auch das Geld für die Erziehung ihres heute 19jährigen Sohnes über Spenden auftreiben. Im Internet veröffentlichen sie auch sämtliche Briefe von Ekita aus dem Untersuchungsgefängnis. Der Prozeß gegen Yukiko Ekita ist einer von drei laufenden RAF-Verfahren in Japan, die in den letzten Jahren wiederaufgenommen wurden. Anwalt Kawamura schätzt, daß der Ekita- Prozeß in rund zwei Jahren zu Ende ist. Justizexperten gehen davon aus, daß in Japan noch bis ins Jahr 2015 Prozesse gegen ehemalige RAF-Kämpfer laufen. André Kunz