Extralegale Hinrichtung in der Bronx

Mit 41 Schüssen streckte eine Elite-Einheit der New Yorker Polizei einen unbewaffneten Einwanderer nieder. Die Zweifel am ach so erfolgreichen Polizeikonzept der New Yorker Saubermänner werden immer lauter  ■ Aus New York Max Böhnel

Wieder einmal handelt es sich um einen sogenannten Einzelfall, und wieder einmal hat es einen Einwanderer getroffen. Am vergangenen Donnerstag erschossen Zivilpolizisten im Stadtteil Bronx den 22jährigen Einwanderer Amadou Diallo, besser gesagt: sie durchsiebten ihn. 41 Schüsse feuerten vier weiße Cops einer Einheit gegen Straßenkriminalität auf den Immigranten aus dem westafrikanischen Guinea ab. 19 Kugeln wurden später in der Leiche entdeckt.

New York erlebte am Dienstag die zweite größere Demonstration innerhalb weniger Tage gegen Bürgermeister Giuliani und seine „Killercops“ vom „New York City Police Department“ (NYPD). Weitere Proteste werden am Freitag erwartet, wenn Diallo beerdigt wird. Und die New York Times, in Sachen Rassismus sonst eher abwinkend, hat dieses Mal sogar Anzeichen dafür entdeckt, daß „der Zwischenfall in der Stadt Rassenspannungen entfachen könnte“.

Die genauen Umstände von Diallos Tod sind noch ungeklärt. Klar ist, daß man in der auf Aggressivität geschulten „Street Crime Unit“ einen lockeren Umgang mit der Waffe pflegte. Gegen einen der Beamten sind noch Ermittlungen im Gange, weil er vor zwei Jahren einen Afroamerikaner erschossen hatte. Der Macho-Kampfname der Fahndergang lautete „Uns gehört die Nacht“. Klar ist ebenfalls, daß das Quartett in jener Nacht auf der Suche nach einem Straftäter war und den unbewaffneten Amadou Diallo, der um viertel vor eins im Hausflur vor seiner bescheidenen Mietwohnung in der Wheeler Avenue 1157 stand, innerhalb weniger Sekunden mit halbautomatischen 9-Millimeter-Pistolen niedermetzelte.

Gefunden wurden neben Diallo seine Briefbörse und ein Pager, jedenfalls keine Spur einer Waffe. Der junge Afrikaner war zwei Jahre zuvor aus Guinea eingewandert und lebte vom Krawattenverkauf auf den Straßen von Manhattan – ein rechtschaffener Bürger ohne Eintrag im Strafregister.

„Wo sind bloß die weißen Opfer, wenn es sich nur um Polizeiübergriffe handelt?“ lautet anklagend die Frage auf einem Transparent, das ein junger Nigerianer hochhält. Die Antwort: „Rassismus!“ skandieren am Dienstag mehrere tausend Demonstranten vor einem Bundesjustizgebäude in den Hochhausschluchten von Manhattan. Auf anderen Transparenten steht „Unser Bruder wurde exekutiert“, „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ und „Stopp der Polizeibrutalität“. Ein Vertreter schwarzer Polizeibeamter klagt die Stadt an. Während die Sozialleistungen reduziert würden, pumpe der Bürgermeister Geld in die Polizei, ohne für deren angemessene Ausbildung zu sorgen. Schwarze Cops müßten in von Schwarzen bewohnten Vierteln Dienst leisten, fordert er, und weiße Cops sollten sich verpflichten, in schwarzen und ethnisch gemischten Vierteln zu wohnen statt in den weißen Vorstädten.

Ein Anwalt erklärt den Unsinn der sogenannten „48-Stunden-Regel“. Nach einem ungeschriebenen Gesetz, an das sich selbst Bundesbehörden halten, können Polizeibeamte nach einem Schußwaffeneinsatz erst 48 Stunden später verhört werden. Eine Regelung, die das Vertuschen von Straftaten im Dienst erleichtert.

Daß im NYPD etwas nicht stimmt, ist seit Jahren offenes Geheimnis. Vielleicht gibt es ja doch einen Zusammenhang zwischen der sagenhaften Reduzierung der Kriminalität in New York seit Anfang der 90er Jahre und dem sprunghaften Anstieg von Beschwerden gegen Polizeiübergriffe, munkelt die Presse. Ein Ex- Angestellter der Beschwerdeabteilung im Rathaus klagte kürzlich in der New York Times, die Beschwerden gegen die Polizei hätten um 45 Prozent zugenommen. Die tatsächliche Zahl von Opfern dürfte noch viel höher sein – wer traut sich schon, ausgerechnet bei den Cops eine Anzeige gegen Cops aufzugeben.

Ob und wie der „Fall Diallo“ demnächst zu den Akten gelegt wird, hängt wesentlich von Bürgermeister Giuliani ab. Der Hardliner mit dem schlechten Ruf in den communities der Minderheiten hat jedenfalls angekündigt, für Recht zu sorgen. So manche befürchten inzwischen, daß Giuliani die Familie Diallo PR-wirksam entschädigt, bevor die Leiche Amadous nach Guinea geflogen wird – und ansonsten weitermacht wie bisher.