Analyse
: Fahrt um die Klippen

■ Verhandlungen über Entschädigung von Nazi-Opfern machen Fortschritte

Die Achtung von menschlichen Schicksalen“ – darum geht es nach Bodo Hombachs Worten bei der Entschädigung von NS-Opfern. So erklärte es der Kanzleramtsminister nach den Verhandlungen, die er Anfang der Woche in Washington geführt hat. Sinn sei freilich auch, daß der Ruf deutscher Unternehmen nicht „in den Schmutz gezogen werden kann“. Stünde nur der Ruf auf dem Spiel, würden sie sich wohl kaum so eifrig bemühen, die deutschen Unternehmen. Tatsächlich geht es für sie um viel mehr. So fürchtet die Deutsche Bank um ihr Vorhaben, das US-Investmenthaus Bankers Trust zu übernehmen. Der New Yorker Stadtkämmerer Alan Hevesi hat die Genehmigung des Milliardengeschäfts an die Entschädigungsfrage geknüpft. Geht die Übernahme nicht im laufenden Jahr über die Bühne, lohnt sie sich nach den Worten von Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer nicht mehr. Alles abzublasen wäre aber teuer. Das Bankhaus hat bereits mehrere hundert Millionen Mark eingesetzt – die wären verloren. Der Fall zeigt, an was der deutschen Wirtschaft liegt: Planungssicherheit statt der Furcht vor Einschränkungen ihrer US-Geschäfte, Rechtssicherheit statt der Gefahr, daß NS- Opfer mit Sammelklagen Erfolg haben.

Diese Ziele wollen Bundesregierung und Konzerne mit dem Fonds erreichen. Die Wirtschaft soll einen Milliardenbetrag zur Verfügung stellen, damit einerseits Holocaust-Überlebende Entschädigungen erhalten und andererseits Gelder für Denkmalpflege und Jugendarbeit fließen. Der Kanzleramtsminister will den Fonds bis zum 1. September einrichten, dem 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen. 17 Unternehmen wollen sich beteiligen. Um die gewünschte Sicherheit herzustellen, versucht der Minister, alle Beteiligten einzubinden. Zu den Washingtoner Verhandlungen reiste Bankchef Breuer mit, um zu zeigen, daß Regierung und Konzerne an einem Strang ziehen. Verhandelt wurde mit Vertretern des Jüdischen Weltkongresses, mit Abgesandten der israelischen und der US-Regierung und mit Opfer-Anwälten. Darunter waren auch Ed Fagan und Michael Witti, die Zehntausende von Betroffenen vertreten. Daß sie mitmachen, ist wahrscheinlich. Eine rasche Einigung sei möglich, sagte Witti gestern: „Ich sehe keine gefährliche Hauptklippe mehr.“

Fraglich ist dennoch, ob sich alle Opferverbände in die Lösung einbinden lassen. Ein außergerichtliches Abkommen – auch mit Unterstützung der US-Regierung – wird juristisch alle Klagemöglichkeiten wohl kaum ausschließen. Und: Über die Höhe des Entschädigungsfonds wurde noch nichts gesagt, was dafür spricht, daß es darüber noch keine Einigung gibt. Entsprechend zurückhaltend sagte der New Yorker Stadtkämmerer Hevesi: „Im Augenblick wäre eine Zustimmung verfrüht.“ Georg Löwisch