Mach' uns den Proll, Harry!

■ Ein Abend im Meerkabarett mit Harry Rowohlt, der aus Flann O'Briens Werken las und Döntjes aus der Lindenstraße erzählte Von Oliver Fischer

Pulle auf, Fluppe an. Dem gediegenen Publikum beim gedämpften Kerzenschein im Meerkabarett im Hayn-Park gefällt der Mann mit den verfilzten langen Haaren, der sich kokett „Bär“ zu nennen beliebt. „Leute, die 25 Mark Eintritt zahlen, kenn' ich gar nicht“, behauptet Harry Rowohlt. Natürlich kennt er sie, und sie kennen ihn. Darum könnte er auch rülpsen, kotzen oder rumlallen, – möglicherweise würde ihm auch das niemand übelnehmen.

Dennoch läßt sich die Lesung mit Worten wie „die Yuppies und der Berber“ oder „die Arrivierten und der Outlaw“ nur unzulänglich beschreiben. Und nur in der Lindenstraße ist Harry Rowohlt ein „echter“ Penner.

Nachdem der Whiskey in Reichweite ist, tut Rowohlt pflichtschuldig das, was er am besten kann: Er rezitiert – rauchig, rappend und rotzig – einen seiner Lieblingsliteraten, den Iren Flann O'Brien, den Rowohlt ins Deutsche übersetzte. Gewaltig ist die Modulationskraft seiner Stimme: von düster-asthmatischen Klängen bis zu glasklaren Glockenstimmen verfügt er über eine breites Spektrum, mit dem er nicht nur alle deutschen Dialekte, sondern auch fast jeden Charaktertyp imitiert.

Aber schnell ist der lyrische Teil abgehakt und Pooh, der Bär, zottelt zu der Frage, die allen unter den Nägeln brennt: Wie's denn in der Lindenstraße war? Als Antwort zückt Harry-Bär ein schon leicht vergilbtes Zeit-Magazin und zitiert daraus zwei Erkenntnisse: In der Lindenstraße wird ein Badezimmer von zwei Mietparteien benutzt (merkt aber ohnehin keiner) und dem Penner ist auch dann im Winter nicht kalt, wenn der Set im Hochsommer spielt und alle anderen Schauspieler leicht bekleidet rumlaufen müssen.

Der Genuß des Feuerwassers hat auf den Redefluß naturgemäß keinen Einfluß. Ein gut zweistündiger Anekdotenreigen beginnt, in dem alle Geschichten mit „Neulich auf der Frankfurter Buchmesse...“ anfangen könnten. Geistreich ironisiert Rowohlt den wichtigtuerischen Literaturbetrieb, zu dem er mit Haut und Zottelhaaren dazugehört.

Seine Witzchen haben Esprit, zweifellos: „Wer sich früher 'nen Namen nicht merken konnte, war vergeßlich“, plaudert er launig dahin. „Heute heißt das Alzheimer.“ Erste Lacher. „Womit man sich wieder einen Namen merken muß.“ Brüllende Lacher.

Mit steigendem Pegel variiert Rowohlt schröckliche Bibelweisheiten wie die, daß man für jedes überflüssig gesprochene Wort Ewigkeiten in der Hölle braten müsse: „Man muß sich dermaleinst für jeden Kalauer verantworten, für den man sich zu fein war.“ Und wenn sich Harry Rowohlt an seine These hält, dürfte seine Last dermaleinst nicht ganz so schwer wiegen.