Ein Leben in Waterloo

■ Das Paula-Modersohn-Becker-Museum widmet dem vergessenen und vom Unglück verfolgten Bremer Maler Arnold Schmidt-Niechciol eine Ausstellung

Wer gerade mal wieder ein Depressiönchen durchmacht und sicher ist, das ärmste Schwein auf der Welt zu sein, von niemanden geliebt zu werden und zudem sowieso im Leben immer schon ein großer Pechvogel gewesen zu sein, der sollte Bekanntschaft mit der Biografie von Arnold Schmidt-Niechciol machen. Und im Anschluß daran alles nochmals ganz neu überdenken.

Ein Skiunfall und die anschließende mißglückte Operation entstellten ihm schon als Kind Gesicht und Leib. Ein fliehendes Kinn und der schiefe, sehr bald fast zahnlose Mund erschwerten ihm das Reden und machten Arnold Schmidt-Niechciol zeitlebens nicht gerade zu einer rasend attraktiven Erscheinung. Auch als Zeichner blieb dem 1893 bei Breslau geborenen Künstler die Anerkennung seiner Mitmenschen weitgehend versagt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde seine Bremer Wohnung in der Löningstraße 15 gleich mehrmals ausgebombt, so daß ein schwerkranker und stark unternährter Schmidt-Niechciol das Kriegsende im Mai 1945 erlebte. Es fügt sich in dieses eher triste Bild, daß der am Ende von Lungentuberkulose geplagte Schmidt-Niechciol 1960 weitgehend verarmt in einer Heilstätte des Roten Kreuzes in Nordholz verstarb und auf dem Riensberger Friedhof begraben wurde. Ist so viel Unglück noch zu steigern? Es ist.

Denn auch nach seinem Tod wurde Schmidt-Niechciol kein Günstling des Schicksals. Gleich mehrere Ausstellungen in den 60er Jahren in der Bremer Kunsthalle, im Schnoor, im Graphischen Kabinett und in der Stadtwaage mühten sich vergeblich, das umfangreiche Werk von Arnold Schmidt-Niechciol dem Vergessen zu entreißen. Nun versucht das Paula-Modersohn-Becker Museum mit einer eigens ihm gewidmeten Ausstellung erneut, die Erinnerung an diesen Künstler aufzufrischen, der seit 1922, als er in Worpswede seine spätere Ehefrau Marianne Elisabeth Boesking kennengelernt hatte, in Bremen gelebt und gearbeitet hat.

Anlaß für diese kleine Retrospektive: Die Kunst- und Kulturstiftung der Sparkasse, mit der die Kunstsammlungen Böttcherstraße eng kooperieren, hat aus einer Privatsammlung etwa 280 Arbeiten Schmidt-Niechciols erworben und sie dem Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. 130 Werke – mit Ausnahme einiger Ölgemälde ausschließlich Zeichnungen – umfaßt die Retrospektive, die bis zum 9. Mai zu sehen sein wird.

Die fehlende öffentliche Anerkennung indes scheint Schmidt-Niechciols Zeichendrang unbeeindruckt gelassen zu haben. Ob Servietten, Briefpapier, Bierdeckel oder Zeitungsseiten – was auch immer er in die Finger bekam, diente ihm als Grundlage für seine Arbeiten. Die Bandbreite an „Leinwänden“ korrespondierte mit der Anzahl der auf ihnen zur Anwendung gekommenen Techniken. Tusche-, Feder- und Bleistiftzeichnungen finden sich in Schmidt-Niechciols insgesamt 2.200 Blätter umfassendem Nachlaß ebenso wie Aquarelle und Pastelle.

Neben dieser enormen Produktivität zeichnet sich das Werk vor allem durch das völlige Fehlen der Themen Krieg und Elend aus. Sieht man von einem einzigen Ölbild ab, das eine zerbombte Brücke über die Weser zeigt, bleiben Schmidt-Niechciols Zeichnungen unbeeindruckt von jeglichem Zeitgeschehen – was angesichts der beschriebenen elenden Lebensumstände des Zeichners doch einigermaßen erstaunt. Stattdessen dominieren, neben Landschafts- und Stadtbildern aus Bremen und umzu, Straßenszenen, Aktstudien sowie skizzenhafte Porträts von Menschen, die einen technisch hochbegabten Künstler erkennen lassen, der mit raschem Blick im Stile eines Karikaturisten Typen zu erfassen wußte.

Zu den bemerkenswertesten Arbeiten im Paula-Modersohn-Becker-Museum zählen Schmidt-Niechciols Selbstporträts, auf denen sich der Zeichner mit einer gewissen Schonungslosigkeit seiner Behinderungen und der daraus resultierenden körperlichen Deformationen annahm. Zuweilen wirken diese Bilder so, als verspotte der behinderte Künstler mit grimmigem Witz sein groteskes Äußeres. – Humor ist halt, wenn man trotzdem lacht. zott

Die Ausstellung in der Böttcherstraße ist bis zum 9. Mai zu sehen. Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr. Öffentliche Führungen: So 11.30 Uhr. Die Kunsthistorikerin Katerina Vatsella hat ein umfangreiches Werkverzeichnis erstellt, das im Museum zu erwerben ist. Weitere Infos gibt es unter Tel.: 33 65 07 7