: Tanz als Demiurg des Kinos
■ taz hamburg präsentiert: Die 1. Hamburger Tanzfilmtage, ab morgen im Alabama-Kino
Die Klientel von Tanztheater ist eine spezielle, und somit ist die Sorge nicht ganz verfehlt, ein Filmfestival nur mit Tanzkino sei ein Risiko. Daß dies bei Herbstsprung, den morgen beginnenden Tanzfilmtagen im Alabama nicht so sei, davon ist Veranstalter Michael Conrad überzeugt: „Die Filmer in den Benelux-Ländern haben längst begriffen, daß der Tanz neue Möglichkeiten für das Kino bietet. Die Regie kann hier den narrativen Weg verlassen und einen eigenen Rhythmus finden, der sich dem Rhythmus der Bewegung anschließt.“ Neue Bilder entstehen, neue Montagen, die an das Avantgarde-Kino der 20er Jahre anknüpfen.
Entstanden ist die fünftägige Reihe durch eine Anregung der Kampnagel-Dramaturgin Sabine Gehm. Sie brachte die Kino-Macher vom Alabama mit dem Utrechter Kino T'Oopt zusammen, die auf dem Newcomer-Festival Springdance einen Preis für den besten Tanzfilm vergeben.
In dem diesjährigen „Einsteiger-Programm“ wollen die Veranstalter erst mal einen Überblick herstellen und herausfinden, wie das Publikum reagiert. Die gezeigte Bandbreite reicht von Frederick Wisemans schonungslosem Dokumentarfilm Ballett über die Knochenarbeit beim American Ballet Theatre bis zum experimentellen Film Bala II über eine tanzende Straßenkehrerin in der Werkschau der Choreografin Janneque Draisma. Große Namen wie bei Peter Greenaways Film über Anna Teresa de Keersmaekers Rosas sind als Publikumsmagnet ausgelegt. Es kommt aber auch Frischware, wie die 16 beim holländischen Springdance-Festival als „best of“ ausgewählten Kurzfilme. Filme über Michèle Anne de Meys Love Sonnets und Carlotta Ikedas und Ko Murobushis Ai Amour komplettieren das Programm.
Eröffnet wird das Festival morgen mit einem Tanz-Film-Video-Stück der Hamburger Choreografin Victoria Hauke: between wurde eigens für den Raum des Alabama-Kinos entwickelt. Dabei müssen die Zuschauer schon einiges mit ihrem Sessel ausprobieren, wenn ihnen nichts entgehen soll, denn der Tanz findet an mehreren Orten statt. Vor der Leinwand begegnen sich die drei Tänzerinnen mit zaghaften, skurrilen Bewegungen am Boden und kommunizieren mit dem Film, der in großformatigen Ausschnitten unbewußte Gesten enthüllt: Die Füße übereinandergeschlagener Beine wippen in einer Art stummer Unterredung oder Finger spielen selbstvergessen mit einem Plastik-Schraubverschluß.
Ein anderer Schauplatz ist die linke Seitenwand des Kinos. An Ketten aufgehängt spazieren zwei Frauen auf der Wand entlang. Das verwirrte Auge des Zuschauers interpretiert die Geschichte ihrer Begegnung wie eine Filmsequenz, gedreht, aus der Vogelperspektive.
Bestechend sind vor allem die Soli. Victoria Hauke stellt sich körperliche Aufgaben, die technisch unmöglich sind, und wandert damit einen Schritt hinaus über das tradierte Repertoire. Maria Fütterer beweist ihr komisches Talent, sie serviert jede Geste in Zeit-Häppchen unterteilt. Wenn sie sich hinlegt, erlangt selbst diese triviale Handlung die bedeutungsvolle Symbolik eines Werbespots.
Doch die Tanz-Duos und Trios – obwohl hervorragend getanzt und ideenreich choreographiert – entfernen sich zu oft vom Film und damit vom Thema. Wirkungsvoll ist der Tanz immer dann, wenn er mit dem Film in Dialog tritt. Etwa, wenn sich auf der Bühne drei Arme heben und damit den Schlüssel verdecken, den der Mann auf der Leinwand hinter ihnen in die Tasche steckt. Durch die tänzerische Geste wird das Filmgeschehen interpretiert, der persönliche und geheimnisvolle Aspekt unserer Tascheninhalte wird hervorgekehrt.
Gabriele Wittmann
Mi-So, Alabama-Kino, Infos unter
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