Wasserkraft rettet Hamburgs AKWs

■ Der Norwegen-Strom-Deal sichert norddeutsche Atommeiler auf Jahrzehnte / Umweltsenator trickst Öffentlichkeit aus Von Florian Marten

Schmelzwasser schießt von den Stauseen der norwegischen Fjells in mächtigen Eisenrohren hunderte Meter fjordwärts hinab. Gewaltige Turbinen fangen die saubere Energie auf, ein 540 Kilometer langes Kabel bündelt die gewaltigen Kräfte und schickt sie durch die Nordsee nach Norddeutschland. Bis zu 2000 Gigawatt jährlich sollen so zu den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) und ihrem Partner RWE fließen und in Hamburg Bedarfsspitzen decken. Nachts und am Wochenende schickt das HEW-Atommeilerquartett dann seine Grundlastüberschüsse zurück – zusammen mit dem RWE-Anteil 1500 Gigawatt pro Jahr.

„Die endgültige Entscheidung wird erst Ende des Jahrtausends getroffen“: Ungewöhnlich bescheiden wehrte Hamburgs Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) am Donnerstag neugierige Fragesteller ab, die hofften, Wasserkraft könne AKWs stillegen. Vahrenholt, als HEW-Aufsichtsrat-Chef Gebieter über Deutschlands AKW-abhängigsten Stromerzeuger, hat mit dieser Halbwahrheit die Öffentlichkeit elegant hinters Licht geführt.

Ein hoher Mitarbeiter der Umweltbehörde zur taz: „Der Stromvertrag zwingt uns, hohe Strommengen aus dem Grundlastbereich nach Norwegen zurückzuspeisen. Dies ist genau auf die Leistungskurve unserer Kernkraftwerke zugeschnitten.“ Während Norwegens Lieferungen die Spitzenlast abfedern, für die Kohle- und Gaskraftwerke zuständig sind, gewinnen die vier AKWs eine betriebswirtschaftlich freundliche Zukunft.

HEW-Chef Manfred Timm: „Das Norwegenkabel wird die Auslastung unserer konventionellen Anlagen reduzieren.“ Entlastung beim Kohleverbrauch und Überbrückung „während der Brennelementewechsel unserer vier Kernkraftwerke“, so Timm – und mitnichten eine Chance für den Verzicht auf AKWs, wie der HEW-Boß betont: „Unsere Kernkraftwerke und die Arbeitsplätze dort sind – auch im Einklang mit unserer Satzung – nur gefährdet, wenn sie unwirtschaftlich arbeiten oder wir große Grundlastkunden verlieren.“

Vahrenholt dagegen jubelte schon: „Das ist der Start für den in der HEW-Satzung festgeschriebenen Verzicht auf Kernenergie.“ Mitarbeiter der Umweltbehörde sehen den energiepolitischen Zug auf einem ganz anderen Gleis: Für die HEW wird der Versuch einer eigenen ressourcenschonenden Stromerzeugung uninteressant. Die betriebswirtschaftliche Rentabilität der AKWs wird noch einmal gesichert. Kein Wunder auch, daß der schleswig-holsteinische Energieminister Claus Möller (auch SPD) mit dem Wunsch nach Aufkündigung des Brunsbüttelvertrages mit dem Stromgiganten Preußen-Elektra in Hamburg auf Granit biß.

Insider sehen noch einen weiteren Aspekt: „Der Senat will große Teile der HEW möglichst bald und möglichst teuer verkaufen. Die Aufkündigung des Brunsbüttelvertrages hätte da ebenso gestört wie jetzt der Norwegen-Vertrag nutzt.“ Spannend bleibt allein, ob der Norwegen-Deal, den die HEW zusammen mit den RWE und überraschend nicht mit der Preußen-Elektra durchzogen, auch ein Präjudiz für den künftigen Mehrheitsaktionär an den HEW darstellt. Timm sibyllinisch: „Aktienanteile werden bekanntlich nicht vom HEW-Vorstand, sondern vom Anteilseigner verkauft.“

Übrigens: Eine wirkliche saubere Anti-Atom-Strom-Lösung per Wasser wäre auch möglich gewesen. Island verhandelt derzeit mit verschiedenen Ländern über den Verkauf seiner Wasserkraft – ohne Atomstrom-Gegenleistung. Allerdings fragen sich isländische Energieexperten ebenso wie viele Energiefachleute und Ökologen in Norwegen und Schweden, ob diese Art des Energieexports ökologisch überhaupt Sinn macht. Und: Ob Norwegens Bürger ahnen, daß aus ihren Steckdosen bald Atomstrom fließt?