Keine Feinde, nirgends

■ Großes Erzählkino, angenehm klischeearm: „Viehjud Levi“, der erste abendfüllende Spielfilm des Dokumentarfilmers Didi Danquart

Der Gastwirt weigert sich, den Volksempfänger in der Wirtsstube aufzustellen. Allerdings nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil er was hat gegen dieses „neumodische Zeug“. Am Ende plärrt das Radio doch noch Propaganda und deutsches Volksliedgut in den rauch- und bierdunstgeschwängerten Raum, und die schwarzwäldische Sturheit hat verloren. „Mich hat interessiert“, sagt Didi Danquart, „was passiert, wenn eine solche Ideologie in eine Ordnung einbricht.“

In „Viehjud Levi“ erzählt Danquart, ausgehend von einem kurzen Theaterstück von Thomas Strittmatter, die Geschichte vom Viehhändler Levi, der 1933 in dem Schwarzwaldtal, das er alljährlich besucht, um dort seine Geschäfte zu machen, eine Welt vorfindet, die sich vor seinen Augen grundsätzlich wandelt. Dabei wird die Nische, in der er sich eingerichtet hat, vernichtet werden.

„Ich habe keine Feinde hier“, beschwört auch Levi die alte, schützende Ordnung. Bisher stimmte das, jetzt sind die Reifen an seinem Lkw aufgeschlitzt. Bis eben funktionierten soziale Umgangsformen und persönliche Beziehungen noch, jetzt brechen die immer schon vorhandenen Konflikte um so vehementer auf. Verschwindet der Jude, ist die Macht neu verteilt, die alte Ordnung aber, die ist wiederhergestellt.

Nichts ist einfach, nichts ist schwarzweiß bei Danquart. Der Obernazi ist eloquent, gebildet, kein Unmensch und auch weniger ideologisch gefestigt, als vielmehr auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Es gibt viele Gründe, warum einer zum Mitläufer wird, seien es Eifersucht oder ökonomische Zwänge. Der arbeitslose Drückeberger beispielsweise mag sich mit anarchistischen Streichen gegen die „braune Scheiße“ zur Wehr setzen, ein Antisemit ist er trotzdem.

„Ich wollte nicht den guten Juden zeigen und die bösen Nazis, nicht einen Widerstandskämpfer“, sagt Danquart, „ich wollte nicht noch einmal den Holocaust fokussieren, es weiß doch jeder, was passiert ist.“ Statt dessen hat er eine angenehm unaufgeregte und klischeearme Studie gedreht über die Mechanismen der Ausgrenzung, die mehr erzählt über das Damals als viele Dokumentarfilme, aber auch genug über das Heute.

Dafür hat Danquart, der die Medienwerkstatt Freiburg mitgründete, in seinem ersten Spielfilm fürs Kino berückend schöne Bilder des Schwarzwalds gefunden. Die Dialoge sind niemals geschwätzig und treffen punktgenau. Eine kleine Schwäche ist die nicht authentische Dialekt-Verwirrung, die Danquart damit erklärt, daß man universell bleiben wollte. Aber egal, ihm ist etwas gelungen, was man von jemandem, der mit experimentellen Dokumentationen bekannt geworden ist, nicht unbedingt erwartet hätte. Er nennt es „Erzählkino produzieren“, und meint das wohl durchaus in einem hollywoodschen Sinne. Das muß nicht ehrenrührig sein.

Das, im Gegensatz zum Theaterstück, wo Levi stirbt, offene Ende rief bei einigen Zuschauern Unbehagen hervor, weil es nicht realistisch sei. „Lassen Sie mir doch die Hoffnung“, sagte Danquart, „vielleicht hat er es ja nach New York oder Palästina geschafft.“ Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Irgendwann im Film erzählt Levi seinem Karnickel, wie man ein Geschäft abschließt: „Wenn er handelt, habe ich ihm gesagt, dann kaufe ich es. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“ Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen. Beim Handeln wie im Leben und erst recht im Kino. Thomas Winkler

13.2., 22.45 Uhr, Arsenal, 14.2., 19.30 Uhr Akademie