Nußknacken in der Pepple Street

Zu Lebzeiten war Fela Kuti unantastbar. Erst nach dem Tod des großen nigerianischen Sängers wagte man sich an den „Shrine“, sein Kultkonzertzentrum in Lagos. Es soll an den Landlord zurückgehen. Aber kann ein heiliger Ort verlegt werden?  ■ Von Jahman Anikulapo

Mit einer raschen, energischen Bewegung brachte der drahtige Oberpriester die Musik zum Stillstand und tötete für einen Augenblick die geladene Atmosphäre von Rauch, Schweiß, Unruhe und Sexualität. Ein Hauch von Leere lag über seinen ruhigen blauen Augen, als er erklärte: „Brüder und Schwestern: ein paar Leute, ein paar Hexen, fordern mich heraus. Sie sagen, ich muß weg von diesem Land mit dem Schrein...“

Seine Jünger ließen ihn nicht weiterreden. Das Haus explodierte in Schreien und Pfiffen. Herauszuhören waren Verwünschungen für die Feinde des Oberpriesters, jenes Mannes, den man den schwarzen Präsidenten der afrikanischen Musik nannte, Held der Armen, Nemesis der Unterdrücker.

Noch ein rascher, lebhafter Faustschlag in die Luft – und das Haus erstarb in einem Schweigen voller Vorahnung. Der Oberpriester fuhr fort: „Die Leute, die dieses Land kriegen, wo der Schrein ist, sie sagen, sie wollen, daß ich den Schrein verlege. Die Hexen, sie vergehen sich an unseren Ahnen...“

Die Antwort war überschäumend. Diesmal war es schwer, das Haus unter Kontrolle zu bringen. Nicht einmal die Baritonstimme des Oberpriesters konnte den Strom von Tiraden aufhalten. Die Stimme erhob sich über den Lärm: „Ich habe ihnen gesagt, daß niemand mich oder den Schrein von hier verlegen kann. Es ist tabu, einen Schrein zu verlegen. Wer das macht, muß sich gegenüber den Ahnen rechtfertigen.“

Mit dieser Hartnäckigkeit begann Fela Anikulapo-Kuti eine Zeit des Streits mit den Landbesitzern des Grundstücks Pepple Street 5–7 im Herzen der Vorstadt Ikeja von Lagos, wo seit über zwei Jahrzehnten sein Live-Konzert- Platz liegt. Der hochpolitisierte, philosophische und streitsüchtige Musiker informierte die Fans und Bewunderer beim wöchentlichen Freitagnachtkonzert über den dräuenden Konflikt zwischen ihm und den Besitzern. Er erinnerte seine Jünger an die ständige Feindschaft, die der „Afrikan Shrine“ von den Anwohnern erfahren hatte, besonders von Bewohnern der engen Pepple Street. Sie hatten in zahlreichen Petitionen an die Regierung Fela und seinen Schrein zum Ärgernis für den Frieden der Pepple Street erklärt – eine Straße, die ohne Fela eine unbekannte verborgene Gasse geblieben wäre.

„Wir können keine Unternehmen in der Straße ansiedeln. Kein ehrenwerter Mensch würde hierherziehen wollen, und unsere Kinder laufen Gefahr, dem sexuellen Mißbrauch, dem Verbrechen und anderen Sünden ausgesetzt zu werden“, klagte Grundstücksbesitzer Dapo Olusegun am 17. Oktober 1994 bei einem gigantischen Geburtstagskonzert für Fela. Damals wurde Fela 55, und der Grundbesitzer sagte, er wünsche dem Helden des Afrobeat kein weiteres Jahr auf diesem Land. Nicht daß er dem großen afrikanischen Musiker einen vorzeitigen Tod wünschte, denn auch er gab zu, daß Fela „eine Ikone der Freiheit für die Unterdrückten“ sei; aber er wollte einfach, daß der Afrikan Shrine an einen anderen Ort zöge.

Die Nacht, in der Fela zu seinen Jüngern sprach, war der 12. März 1993. Kurz vorher hatten seine Anwälte vor Gericht gegen einen Räumungsantrag von Anwälten der Binitie-Familie plädiert. Erfolglos. Die Richter sagten, Fela habe sein Versprechen nicht gehalten, ein verantwortlicher Mieter zu sein. Die Binities sagten, sie hätten Fela das Land 1978 gegeben, als Soldaten ihn aus seiner „Kalakuta- Republik“ im Stadtteil Surulere geworfen hatten. Sie sagten, er habe seit 1988 keine Miete mehr gezahlt. Die Richter gaben sich eine Woche zur Verkündung des Urteils. Fela war am Verlieren. Er war angespannt. Kritik konnte er nicht einmal beim Musiküben ertragen. Man nannte ihn dafür den Oberlehrer. Es war diese große Anspannung, die er an diesem Freitag abend auf die Bühne trug, im vollen Bewußtsein, daß er die Sympathie seiner Jünger gewinnen würde. Er war ihr Herr und Gebieter, der ihnen verordnen könnte, auf den Straßen Chaos zu säen. Aber dies tat er nicht.

Denn Fela war von Natur aus sanft, ein aufgeklärter Kämpfer, zivilisiert und intellektuell, der lieber mit Worten und Melodien focht als mit Gewehren und Knüppeln. Außerdem entstammte er der Aristokratie. Sein Vater trug viel zum Aufbau des nigerianischen Bildungswesens bei, seine Mutter war die Befreiungsheldin für nigerianische Frauen in der Zeit der britischen Kolonialherrschaft.

Fela forderte seine Leute nicht zum Kampf auf. Aber er stimmte einer Verlegung des Schreins nicht zu. Das ist ein Tabu, eine Häresie, gottes- und ahnenverachtend. In der Tradition ist ein Schrein der Aufenthaltsort von Göttern und Ahnen. Die Ahnen leben im Schrein, die Lebenden können sie als Medien zu den Göttern nutzen, die wiederum den Verbindungsstrang zum obersten Schöpfer darstellen. Wer kann es also wagen, die Ahnen, die Gründer des Landes, zu stören?

Doch am 17. März 1993 entschied der Lagos High Court, Fela Anikulapo-Kuti solle das Grundstück Pepple Street 5–7 räumen und der Binitie-Familie überlassen. Der Spruch wurde in Abwesenheit Felas und seiner Anwälte verkündet. Felas Rechtsbeistand legte daher Berufung ein, und der Fall schwang hin und her. Und während die Binitie-Familie über die für sie nachteilige Feuerpause schmollte, schwamm Fela im Glück und in seinen wöchentlichen Shows. Sein ältester Sohn Femi, Leiter der Positive Force Band, hatte seine eigene Sonntagsshow. Die Anhängerschaft blieb weiterhin enorm.

Am 2. August 1997 hielt Fela seinen Rhythmus an. Er starb an einer komplizierten Tuberkulose und Herzstillstand in Verbindung mit Aids. In Ehrfurcht vor dem großen Musikdenker und schwarzen Ideologen schien die Welt Nigerias und der Musik Afrikas zum Stillstand zu kommen. Seine Beerdigung brachte die größte Menschenmenge der Geschichte, zumindest in Afrika, zusammen.

Während Felas Familie aus sieben Kindern in Panik geriet, lachte die Binitie-Familie befreit und glücklich. Fela war die harte Nuß gewesen, die sie nicht knacken konnte. Der Sohn Femi, auf den das Erbe Felas fiel, war knackbar. Obwohl genauso eloquent wie sein Vater, ist er viel zugänglicher als Fela. Um des Friedens willen traf Femi die Binitie-Familie. Er bot ihnen Frieden, gestand ihnen ihr Besitzrecht über das Land zu und schlug vor, es ihnen abzukaufen.

Die Binitie-Familie wollte nicht verkaufen. Sie brauchten ihr Land und standen unter Druck anderer Grundbesitzer auf Pepple Street. Doch unter dem Eindruck der Friedensinitiative, die von eminenten Mitgliedern der Gesellschaft bis hinauf zu hohen Politikern und erfolgreichen Unternehmern unterstützt wurde, entschlossen sie sich zu einer gütlichen Lösung. Es wurde eine Vereinbarung getroffen, wonach der Afrikan Shrine „nicht später als bis zum 31. Januar 1999“ ausziehen werde.

30. Dezember 1998. Ein berühmtes Lied Felas klang aus, ein Lied schwerer perkussiver Schläge mit der charakteristisch reichen politischen Philosophie seiner Musik: „Overtake Don Overtake Overtake“, ein Lied über die Entschlossenheit des Künstlers, den Ausdruck seiner Überzeugung zu ändern. Es erwies sich als Metapher der Zerstörung des Shrine am Neujahrsabend. Nach zwei Jahrzehnten entschloß sich der Afrikan Shrine, sich auszulöschen, vor allem, da er mit Fela seine Seele verloren hatte.

Die Nachricht, daß eine Gruppe von Justizbeamten und 50 bewaffneten Polizisten in den Shrine einmarschiert sei, unterbrach an diesem Donnerstag die erregte Silvesterstimmung.

Die Invasoren hatten früh zugeschlagen, gegen neun Uhr morgens. Sie trieben die Besetzer des Shrine hinaus, die Horde hanfrauchender Jugendlicher und die von Femi engagierten Pförtner. Sie warfen Musikinstrumente, Stühle hinaus, auch die berühmte Afrikakarte aus Plastik hinter der Bühne, vor der Fela am Ende jeder Show seinen Black-Power-Gruß gab. Doch dann stießen die Beamten auf ein Dilemma: der kleine Schuppen, weiß umhüllt, in der linken Ecke der Bühne.

Er trug eine mystische Aura; er ist das Herz, die Seele, das Wesen des Afrikan Shrine; er gibt ihm den Namen. Der Schuppen saß einfach da in seiner mystischen Selbstverständlichkeit, und keiner der Polizisten oder Justizbeamten wollte ihn anrühren. „Ich kann das nicht. Ich kann hier alles raustragen, aber den Schrein, den kann ich nicht anrühren. Soll der, der ihn hingetan hat, oder seine Kinder ihn wegnehmen“, sagte ein fetter, vorlauter Offizier. Seine Kollegen wichen ebenfalls zurück und warfen dem Schrein heimliche Blicke zu, als würde gleich etwas aus ihm herausspringen. Die „Fela Boys“ lachten die Polizisten aus. Noch fünf Stunden später war der weiße Schrein unberührt. Dies ermöglichte es Felas Kindern, geführt vom Ältesten, Yemi, der in Femis Band singt, die entfernten Gegenstände wieder hineinzutragen. Femis Anwalt Femi Falana brachte die Einsatzleitung der Polizei dazu, die Polizisten zurückzuziehen. Am nächsten Tag fingen die Konzerte im Shrine wieder an. Eine Riesenmenge kam, wie immer. Über die Ereignisse der vergangenen 48 Stunden wurde wenig gesagt. Es war eine Neujahrsshow, eine ganz besondere.

Am Sonntag, dem 3. Januar, führte Femi Kuti seine Positive Force Band in einer noch besser gefüllten Show mit seinem charakteristischen Publikum – Studenten und junge Unternehmer. Und wie einst sein Vater hielt Femi mitten im Konzert inne. Er blickte tief in den Raum vor sich, als wolle er das Herz seines Publikums erfassen, und erklärte: „Ihr werdet euch erinnern: An dem besonderen Konzert zu Felas erstem Jahrestag sagte ich, wir hätten zugestimmt, den Shrine zu verlegen, da wir das Land den Besitzern nicht abkaufen konnten.

Aber am 30. Dezember 1998 kam die Familie mit Polizei hierher. Sie zerstörten mein Equipment, warfen unser Eigentum hinaus. So haben sie die Vereinbarung gebrochen. Sie konnten nicht bis Ende Januar warten. Sie haben die Sache verkompliziert. Wir wollten bis Ende Januar gehen, aber nun haben sie uns einen Grund gegeben, das nicht zu tun. Wir gehen vor Gericht, und wir bitten sie um Schadenersatz. Mein Schaden beträgt zehn Millionen Naira (200.000 Mark), aber ich kann auch 50 Millionen verlangen. Und wenn sie nicht zahlen, ziehen wir die Sache in die Länge.“

Es wurden tatsächlich eine Klage und eine eidesstattliche Erklärung eingereicht. Aber Alhaji Bayo Binitie, Sohn der alten Grundbesitzerin Mene Binitie, sagte: „Ich habe mit Femi nichts zu schaffen. Fela ist mein Geschäftspartner. Er ist der Mieter, nicht Femi. Und er ist tot. Was auch immer Femi auf diesem Land tut – er begeht Hausfriedensbruch. Er ist nicht Partei. Am 31. Januar muß etwas geschehen.“

Der Autor ist weitläufig mit Fela Kuti verwandt und Kulturchef der wichtigsten nigerianischen Tageszeitung „The Guardian“. Er verfaßte diesen Text für die taz. Übersetzung: Dominic Johnson