Erfolg vor US-Gericht gegen rauchende Colts

Gericht in New York verurteilt US-Waffenindustrie erstmals zur Zahlung von Entschädigung an Verbrechensopfer. Die erfolgreichen Schadenersatzklagen gegen die Tabakindustrie dienten als Vorbild  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Erstmalig in der US-Rechtsgeschichte hat ein Geschworenengericht in Brooklyn ein Urteil gegen die Waffenindustrie gefällt. In einer Klage gegen 25 Waffenhersteller – darunter so prominente Namen wie Beretta, Glock und Colt – fanden die Geschworenen, daß 15 der Firmen beim Vertrieb ihrer Erzeugnisse fahrlässig gehandelt hatten. Neun Hersteller seien für den Tod bzw. die Verletzung von drei Verbrechensopfern haftbar. Schadenersatz bekommt allerdings nur das jugendliche Opfer Steven Fox, dem noch eine Kugel im Gehirn steckt. Von den 3,95 Millionen Dollar bleiben ihm nach der Aufteilung mit den Anwälten ganze 560.000 Dollar übrig.

Die Angehörigen von sieben Verbrechensopfern aus dem Großraum New York, die durch Schußwaffen getötet oder verletzt worden waren, hatten gemeinsam gegen die Waffenindustrie geklagt. In keinem der Fälle war die Tatwaffe sichergestellt worden. Doch die Kläger machten geltend, daß die Waffenindustrie insgesamt für die Art der Vermarktung ihrer Produkte verantwortlich sei. Der zuständige Richter Jack Weinstein hatte in einem aufsehenerregenden Urteil die Klage zugelassen. Für eine derartige kollektive Verantwortlichkeit der Industrie gibt es bereits Präzedenzfälle, zum Beispiel die Urteile gegen die Asbest- und die Tabakindustrie.

Die Stadt New York hat eines der strengsten Waffengesetze der USA. Es verbietet den Besitz und das Tragen von Schußwaffen. Die Waffenhersteller aber wissen von der sogenannten „Eisernen Pipeline“, durch die Pistolen und Revolver aus südlich gelegenen Bundesstaaten mit laxeren Gesetzen auf den Schwarzmarkt in nördliche Städte wie New York gelangen. Dagegen unternehmen die Hersteller nichts, obwohl sie die Möglichkeit dazu hätten. „Die Waffenindustrie verhält sich nicht anders als eine Industrie, die ihre giftigen Abfallstoffe in Flüsse bzw. auf die Böden von Gemeinden leitet, wo sie Schaden an Leib und Leben der Menschen anrichten“, argumentierten die Kläger.

„Waffenhersteller sind für den verbrecherischen Umgang mit ihren Erzeugnissen eben so wenig verantwortlich wie Autohersteller für durch Trunkenheit am Steuer verursachte Unfälle“, argumentierte die Verteidigung. Die Geschworenen hatten über das Urteil eine ganze Woche lang beraten und in der Zeit wiederholt Hilferufe an den Richter gesendet. Sie seien völlig zerstritten, der physischen Gewalt nahe, erschöpft und krank, schrieben sie in einem mit Ausrufezeichen gepfefferten Brief. Doch der Richter weigerte sich, sie von ihrer Entscheidungspflicht zu entbinden. Das Urteil trage die Spuren innerer Zerstrittenheit, so die Verteidigung, es sei ein Kompromiß und keine saubere Entscheidung. Sie beantragte deshalb die Anullierung durch den Richter. „Sie haben das Kind geteilt“, sagte David Yassky, Professor an der Brooklyner Juristischen Fakultät in Anspielung an Salomos sprichwörtliches Urteil.

Die Entscheidung der Geschworenen nimmt 45 Seiten ein. Beide Seiten können darin wenigstens Teilerfolge für sich sehen. Das Urteil ist von entscheidender Bedeutung für den Fortgang jener Verfahren gegen die Waffenindustrie, die mehrere Städte auf Grundlage ähnlicher und erfolgreicher Klagen gegen die Tabakindustrie angestrengt haben.