Marketing 1 wirft Kaugummis, Techniker droht mit Flasche

■ Chaotisch geht es zu bei der Aufsichtsratssitzung der Minifirma„La Ventana“ – bis um zehn der Hausmeister kommt

20.10 Uhr. Noch fünf Minuten bis zur Sitzung des Aufsichtsrats. Der Abteilungsleiter Technik zieht seinem Kollegen von der Verwaltung eins mit der leeren Plastik-Sprite-Flasche über. Marketing 1 wirft Marketing 2 einen Kaugummi zu. Ein normaler Unternehmenschef würde angesichts eines solchen Szenarios wohl ziemlich nervös werden. Johannes Reimers, Vorstandsvorsitzender von „La Ventana“, bleibt jedoch gelassen. Kein Wunder: Der Firmenchef ist mit seinen 17 Jahren genauso alt wie der Großteil der Anwesenden. Sie alle sind SchülerInnen des Christianeums, in dem die Konferenz auch stattfindet.

Das Miniunternehmen „La Ventana“ existiert seit vorigem Herbst. Gemeinschaftskundelehrerin Karin Menke, früher selbst jahrelang als Unternehmerin tätig, ermunterte damals die Elft- bis DreizehntklässlerInnen, beim Projekt-Wettbewerb „Junior“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mitzumachen. Im April soll das Produkt von „La Ventana“, ein Hamburger Stadtführer für Jugendliche, erscheinen. Bis dahin gibt es noch jede Menge zu tun: Dummies erstellen, Vertriebswege auskundschaften, Werbekunden finden und den professionellen Umgang mit den Medien trainieren. „Das Fernsehen hat angerufen: Wir sollen ,Junior' bei der J.B. Kerner-Show vorstellen“, berichtet Johannes und sorgt damit bei den 18 Aufsichtsräten für aufgeregtes Stimmengewirr.

Auch für Johannes kam der Anruf überraschend. „Als die Frau vom Fernsehen wissen wollte, ob ich ein Vorbild in der Wirtschaft hätte, wußte ich erst nicht, was ich sagen sollte“, erzählt er. „Mir ist dann noch Jürgen Schrempp eingefallen. Den finde ich schon toll.“ Doch die Bewunderung für den Daimler-Chef war für den Elftkläßler nicht der Grund, bei „La Ventana“ mitzumachen. „Mir bringt das Projekt vor allem Spaß,“ sagt Johannes.

Die Konkurrenz seiner Firma zu den neun anderen Hamburger Mini-Unternehmen hält sich in Grenzen: Statt verbissen um die bessere Marktposition zu kämpfen, feiern die Vorständler Kennenlern-Partys mit den Konkurrenten.

Dennoch ist die simulierte Geschäftssituation nach Meinung der SchülerInnen „im großen und ganzen real“ – „zum Beispiel der Vertrag, den wir mit unserem Sponsor ausarbeiten mußten“, erzählt Janna-Lena, Abteilungsleiterin Marketing. „Oder daß man viel arbeiten muß, um etwas auf die Beine zu stellen“, ergänzt Johannes.

Auch die vom IW vorgegebene Betriebsstruktur mit Vorstandsvorsitzendem und Abteilungsleitern soll zum Realitätsgewinn beitragen. Von Hierarchien halten die SchülerInnen allerdings nicht viel. „Im Grunde sind bei uns alle gleichwertig“, sagt Janna-Lena. Auf der Suche nach einem Namen für den Stadtführer überschreien sich die Aufsichtsräte gegenseitig. „So chaotisch geht das hier meistens zu“, sagt der Vorstandsvorsitzende und sieht sehr zufrieden aus.

Bis 22 Uhr müssen die Jugendlichen sich auf einen Namen geeinigt haben. Dann kommt der Hausmeister und macht das Licht aus. Innerhalb von Sekunden wird aus dem Konferenzraum wieder ein Klassenzimmer – und aus dem Vorstandschef ein Schüler. Die Wirtschaft ist eben schnellebig.

Kristina Maroldt