Eine Frage der Perspektive

■ Die Zeitschrift „Stimme“ ist Sprachrohr für in Bremen lebende AusländerInnen – der Chefredakteur im Portrait

Schwule schreiben über die Schwulenszene, Frauen über Frauenthemen und AusländerInnen eben über die Belange von AusländerInnen. Das stimmt nicht immer – aber immerhin so oft, daß es ins Auge fällt. Warum also schreibt der gebürtige Italiener Luigi La Grotta als Chefredakteur für die „Stimme“, der Zeitschrift des Dachverbandes der Ausländer-Kulturvereine in Bremen (DAB)?

Anstelle einer Antwort erzählt La Grotta eine kleine Geschichte aus seiner Kindheit. Als Zwölfjähriger sprach La Grotta, der vor mehr als 20 Jahren mit seiner Familie aus Süditalien nach Deutschland gekommen war, noch kein Wort Deutsch. In der Schule wurde „der Fremde“ von den deutschen MitschülerInnen gemieden. Sein einziger Freund in der Klasse war ein Türke. Nach einem Streit mit seinem türkischen Freund erfuhr Luigi La Grotta plötzlich das, was ihm zuvor immer verwehrt wurde: Zuneigung von Seiten seiner deutschen MitschülerInnen. Schließlich hatte er sich mit dem Richtigen gestritten.

Es wäre übertrieben zu behaupten, von diesem deprimierenden Kindheitserlebnis führte ein direkter Weg in die „Stimme“-Redaktion auf dem ehemaligen AG-„Weser“-Gelände am Schiffbauerweg im Bremer Stadtteil Gröpelingen. Aber zumindest haben den 33jährigen solche und ähnliche Erfahrungen empfindsam werden lassen für „Ausländerthemen“. So empfindsam, daß er sich seit einigen Jahren überwiegend damit beschäftigt, bis ihn diese eigentümliche Mischung aus persönlich Erlebtem und gesellschaftlich Gegebenem schließlich in die Redaktion der Zeitschrift „Sti,mme“ geführt hat. Seit Anfang des vergangenen Jahres leitet er sie sogar.

Dort versucht sich La Grotta gemeinsam mit der DAB-Vorsitzenden Gule Iletmis und fünf freien MitarbeiterInnen Monat für Monat an dem Drahtseilakt, die Schnittstelle zwischen den Interessen der 30 DAB-Mitgliedsverbände und den eigenen politischen Überzeugungen zu finden. Es ist nicht immer ein leichtes Unterfangen, zumal auf Seiten der Politik Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) keine Gelegenheit ausläßt, auf Kosten der AusländerInnen sein Profil als rechtspolitischer Hardliner zu schärfen.

Insbesondere die Auseinandersetzungen um die PKK, den kürzlich verbotenen Kurdisch-Deutschen Solidaritätsverein oder die Gröpelinger Fatih Moschee haben innerhalb des DAB und der „Stimme“-Redaktion zu Spannungen geführt. Denn in einem Klima populistischer Denunziation ist es sowohl nach innen als auch nach außen schwer, die Balance zwischen berechtigter Kritik an einzelnen Gruppierungen und der Verteidigung von AusländerInnen gegen ungerechtfertigte Vorwürfe zu halten.

Doch das gelingt der „Stimme“ sehr oft. Immer wieder finden sich in den 32 Seiten starken Ausgaben informative Hintergrundanalysen oder kluge Interviews zu Fragen von Asyl, Abschiebung oder Migrationsalltag. Kulturberichte, Rezensionen, Satiren und Ulrich Reinekings alias Urdrüs' bekannte Spottkolumnen verleihen der „Stimme“ darüber hinaus ein eigenes Profil.

Daß die „Stimme“ dabei nur selten fremdsprachige Texte beinhaltet, wertet La Grotta als Konzession an die Bandbreite der DAB-Mitglieder. „Deutsch ist der gemeinsame Nenner zwischen den Gruppen – und zugleich erleichtert mir das die Arbeit. Wie etwa sollte ich einen griechischen Text redigieren?“ Zumal das Redigieren ein Großteil von La Grottas Tätigkeit ausmacht. Denn als die „Stimme“ 1987 mit massiver Unterstützung der SPD gegründet wurde, war eines ihrer Hauptanliegen, AusländerInnen, deren Muttersprache also nicht Deutsch ist, den Weg in den professionellen Journalismus in Deutschland zu ebnen.

Eine überaus erfolgreiche JournalistInnenschule ist die „Stimme“ nicht geworden. Aber zumindest hat sie dazu beigetragen, daß etwa in Frankfurt ein „Informationsdienst zur Vertreibung unterbliebener Nachrichten“ gut geschriebene Artikel von ehemaligen Stimme-RedakteurInnen vertreiben kann. Das ist durchaus ein Erfolg – auch wenn die RedakteurInnen Deutsche sind. zott

Die Redaktion der „Stimme“ hat ihren Sitz am Schiffbauerweg 4 in Bremen-Gröpelingen und ist dort unter Tel.: 61 20-71/-73 zu erreichen. Das Jahresabo (zehn Ausgaben) kostet 26 Mark.