Techno am unteren Bildrand

■ Nie war so viel Ödnis im Glam: Ulrich Seidls „Models“ im Panorama

Ganz still hält die Kamera. Keine Schwenks, keine Fahrten, kein schneller Schnitt. Einmal eine Nahaufnahme, sonst rückt sie nicht näher als halbnah an ihre Objekte heran. Einen ruhigen, fast monotonen Rhythmus wählt der Wiener Filmemacher Ulrich Seidl für seine Dokumentation „Models“. Das paßt zu dem eintönigen Alltag, dem sich die drei jungen Frauen Vivian, Lisa und Tanja unterwerfen. Und es paßt zu der Passivität, mit der sie die eindeutigen Angebote der Fotografen, die Brustoperationen und die Beinhaarentfernungen über sich ergehen lassen. Denn wo man Glamour erwarten könnte, begegnet man von der ersten Szene an nichts als Tristesse.

„Ich liebe dich“, vertraut Vivian dem eigenen Spiegelbild an. „I pack' die Realität nimmer“, heißt es kurz darauf, wenn Lisa morgens um sieben in ihr Telefon jammert, während sie sich, gerade vom Trip durch die Nacht heimgekehrt, vor lauter Kokserei kaum noch auf den Beinen halten kann. Und sie entschuldigt sich dreifach bei ihrem Gesprächspartner, zu dieser Stunde überhaupt anzurufen: Einen anderen habe sie einfach nicht erreicht, und sie brauche jemanden, der ihr zuhöre.

Zur selben Zeit, in einer anderen Wohnung, hängt Vivian über einer Toilette, an deren 70er-Jahre-Fliesen die Kamera sich noch oft aufhalten wird. Vivian kotzt fast routiniert, und zwischendurch streitet sie mit ihrem Lebensgefährten.

Vivian, Lisa und Tanja sind, was man fashion victims nennt. Sie hungern und kotzen sich dünn, lassen sich Silikon in die Brüste stopfen und die Nase begradigen. Sie verbringen ihre Tage in Fitneßstudios oder beim Fotoshooting, träumen von der großen Karriere, die sich nirgends ankündigt. Der Körper ist Experimentierfeld und Ware, deren Tauschwert es zu optimieren gilt. Vivian, die noch am Anfang steht, geht denn auch mit den Fotografen ins Bett – freilich ohne daß es sie weiterbrächte.

Und die Kamera, die ist immer dabei. Daß der Rahmen des Dokumentarischen dabei zugunsten der Inszenierung überschritten wird, läßt sich erahnen. Posing gibt es nicht nur für die Modefotografen, sondern auch für Seidl. Szenen narzißtischer Selbstinszenierung wechseln mit solchen, in denen sich die Akteurinnen denunzieren lassen. Leicht zu ertragen ist das nicht.

Spaß haben Vivian, Tanja und Lisa – wenn überhaupt – nur im Auto, auf dem Weg in den Club, den sie frequentieren. Später noch einmal, auf der Club-Toilette, wo sie dem Spiegel eine Exklusivshow geben und sich sich am Koks freuen. Kaum auf der Tanzfläche angelangt, versteinern sich ihre Gesichtszüge. Gleichförmig bewegen sie sich zum Techno, ihr Oberkörper an den unteren Bildrand verbannt, bisweilen aus dem Rahmen rutschend. Nicht einmal nach dem Sex zeigt Vivians Gesicht eine Spur von Glück. Selten war so viel Ödnis im Glam. Cristina Nord

Heute, 23.30 Uhr (Filmpalast)