„Gutes Rennen, großes Gefühl“

Der Norweger Lasse Kjus ist mit je zweimal Gold und Silber der Mann der Ski-WM. Der Titel in monotonen Standardfloskeln gebührt ihm auch. Ist das sein Trick?  ■ Aus Vail Ralf Mittmann

Yes. Great feeling. Good. Good race. Excellent race. Feel fine. I'm satisfied. Hope to win more in the future.

Das sind acht kurze Antworten, die in Vail zum Standardrepertoire von Lasse Kjus gehörten. Damit ließen sich problemlos die verschiedensten Fragen neugieriger Reporter beantworten, ohne daß Hirn und Gurgelzäpfchen übermäßig beansprucht wurden. Nach seinem Triumph im Riesenslalom, den er im Zielraum mit einem Kniefall zelebrierte, hielt der Norweger zum Erstaunen seiner Umgebung sogar eine kurze Rede. Dieses sei seine wichtigste Medaille bei dieser WM, sagte Kjus. Nicht weil er sich mit ihr statt des dafür vorgesehenen Hermann Maier zum Mann der WM gemacht hatte, sondern bloß „weil sie nicht zu erwarten gewesen war und weil Riesenslalom die schwierigste Disziplin im Skifahren ist“.

Gäbe es für kurze Antworten und Monotonie in der Stimme einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, der Norweger Kjus (28) wäre ein heißer Kandidat. Er spricht ein Englisch, das so unverdorben ist von jeglichem Akzent und dazu frei von jeglicher Betonung, daß dies fast schon ein Kunststück ist. Langweilig ist es allerdings auch, und daß ihn die Begleiter der Skiszene den „Schweiger aus dem hohen Norden“ getauft haben, verwundert nicht.

Kjus selbst kann sich mit diesem Beinamen allerdings bestens abfinden. So hatten sie im alpinen Skitroß vor etlichen Jahren schon einmal einen genannt, und der war von klein auf sein Vorbild und einer der besten Skifahrer aller Zeiten auch. Wie der Schwede Ingemar Stenmark ist auch Kjus nur dann von bescheidenem Unterhaltungswert, wenn er sich Mikrophonen gegenüber sieht. Reden ist eben nicht jedermanns Sache, und über das wirklich Wichtige sagt es im Zweifelsfall auch nichts aus. Vier Medaillen, zweimal Gold, zweimal Silber – das hat außer Kjus nur der Schweizer Pirmin Zurbriggen bei der WM 1987 in Crans- Montana geschafft. Auch Konkurrent Maier (zweimal Gold) kommt da nicht mehr mit. Und mit insgesamt zwölf Plaketten bei WM und Olympia seit dem ersten Medaillengewinn im Jahre 1993 (WM in Morioka; Kombi-Gold), hat sich der Kjus in Colorado endgültig unter den ganz Großen eingereiht.

In Vail machten sich Journalisten aus aller Welt und natürlich auch die Konkurrenz wieder auf die Suche nach dem „Geheimnis des rasenden Elches“ (Vail Daily). Da hagelte es schon mal Platitüden. Der Kjus, erklärte ziemlich ratlos die rot-weiß-rote Skilegende Karl Schranz, der sei eben „schon ein hervorragender Skifahrer“. Vielleicht meinte der alte „Löwe vom Arlberg“ damit das gleiche wie Ex-Star Zurbriggen, der in Vail als nicht näher definierter Ratgeber für die Schweizer Abfahrer tätig war. Skifahren sei Gefühlssache, ließ der Eidgenosse wissen, „und der Kjus hat ein unglaubliches Gefühl“.

Besonderes Gefühl ist das eine, das Lasse Kjus auszeichnet, stoische Ruhe das andere. „Der Lasse“, sagt Martin Osswald, der deutsche Cheftrainer der Norweger, „der ist ein ganz ruhiger Mensch, der die Stille liebt und daraus Kraft bezieht.“ Kjus macht gerne Bootstouren, geht fischen und manchmal auch einfach nur spazieren in Norwegens unberührter Natur – darin mag Osswald eine Parallele erkennen zwischen dem Land im Norden Europas und seiner Heimat, dem Allgäu. Und deshalb weiß er auch: „Das gibt Kraft für die Seele und Kraft für den Kopf.“ Die positive Folge für den Wettkampf, so Osswald: „Der Lasse kann unglaublich gut mit Druck umgehen.“ In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick in eine Presseinformation der Skifirma Atomic, zu deren Rennstall der Norweger gehört. Auf die Frage nach seiner Stärke hat Kjus dort angegeben: „Gutes Selbstvertrauen, starke Psyche“.

Die ist offenbar sogar stärker, als jene des Draufgängers Maier, der vier Tore vor Ende des zweiten Riesenslalom-Durchganges aus der Bahn geflogen war. Experten gehen davon aus, daß Kjus nun auch den Gesamtweltcup gewinnt, den er vor Maier anführt. Ändert alles nichts daran, daß der Österreicher ein Vielfaches von Kjus verdient. Letzte Frage an Kjus: „Motiviert es Sie zusätzlich, gegen Maier zu fahren?“ Keine Miene verzog der Elch. „Nein“, sagte er dann, langsam, leise und in völlig unbetontem Englisch „ich fahre gegen alle und vor allem gegen mich und meine Zweifel.“

Die Branche rätselt weiter: Einmal mehr vornehme Zurückhaltung oder doch bewußtes, gar hinterlistiges Understatement?