Letzte und allerletzte Konstrukte

Fröhliche Wissenschaft – gelehrtes Schauspiel: Theaterwissenschaftler und Schauspielstudenten mischen sich zum Festival „Neuropolis“. Theoriepartikel fallen auf aquaristische Videos und Meditationsgymnastik  ■ Von Eva Behrendt

„Neuropolis“ – die neurotische Hauptstadt, das nervöse Berlin? „Neuropolis“ lautet die Überschrift eines Theaterfestivals, das Studierende der Theaterwissenschaft der Humboldt Universität initiiert haben und derzeit gemeinsam mit KommilitonInnen der Freien Universität und SchauspielschülerInnen der Hochschule der Künste sowie der Ernst-Busch- Schule veranstalten. Ähnlich der Hauptstadt Berlin verfolgt „Neuropolis“ ehrgeizige Ziele: studentisches Theater will es vom Ruf des Laienhaften befreien und seine Protagonisten den potentiellen künftigen Brötchengebern aus der etablierten Szene empfehlen.

„Junges Theater ist eigentlich der bessere Begriff für studentisches Theater, das nach neuen Ausdrucksmitteln sucht“, meint Mitorganisator Jan Schiele, „zumal die Grenzen zur Off-Szene jetzt schon durchlässig sind.“ Ein solches interuniversitäres Festival- Bündnis der Berliner Theaterausbildungsgänge – noch dazu zwischen angehenden Geisteswissenschaftlern und Schauspielern – hat es bislang jedenfalls nicht gegeben.

Die Disziplinen entgrenzen sich ebenso wie die Künste, Theater ist nicht mehr bloß Schauspiel, und Wissenschaft selbst inszeniert sich als Experiment. Idealerweise jedenfalls – und damit dann doch wieder theoretisch. Einen Überblick über die favorisierten Theaterkonzeptionen des Bühnennachwuchses bot ein Abend mit „Frischfleisch am Fließband“, der auf der kleinen Studiobühne in der Sophienstraße sechs Aufführungen in rund zweieinhalb Stunden präsentierte.

Trotz des Galopps quer durch die Genres – Performances, Video, klassischer Sprechtheatermonolog, Kabarett und szenische Lesungen – dominierte überraschenderweise der gesprochene Text. Ob live, vom Band oder elektronisch verfremdet, ob in eher konventionellen Erzählweisen oder als laut assoziierendes Denken: meist wurden der Körper und sein drohendes Verschwinden in den Medientechnologien verhandelt. Das HU-Projekt „Mono“ konzipierte beispielsweise eine technoid-technologiekritische Science- fiction-Collage von Michael Meyer als szenische Lesung. Die Agenten-Story um „Datentransfer mit humanoiden Speichermedien“ erzählt von der Ausschaltung des Individuums durch Hirnimplantate in einer nicht allzu fernen Zukunft. Mit karger Ausstattung – einzige „Illustration“ ist ein aquaristisches Video – sowie einer äußerst präzis befolgten, kühlen Sprechregie (Jan Kricheldorf), erzielen die nahezu bewegungslosen VorleserInnen ein erstaunliches Maß an Spannung und vermitteln dem Zuschauer die nötige Konzentration, um dem mit Hightech-Vokabular gespickten und geschickt verschachtelten Text zu folgen.

Anders in „Krieg-Information- Körper“, einer Co-Produktion von HdK und FU. Hinter dem Titel, der auch gut als Überschrift einer Anthologie der Kittlers und Virilios denkbar wäre, verbirgt sich ein pathetischer, mit Theoriepartikeln unübersichtlich angedickter Monolog, dem ein von der Decke baumelndes Mikro zu leichten Echo- Effekten verhilft. „...und das letzte Konstrukt heizt sich zur Spaltung als eine Art elitärer Disziplin“: verstanden werden soll das alles augenscheinlich nicht, denn weder erhellt das Gebrüll des Performers die kryptischen, an die Bühnenrückwand projizierten Dia-Ikonographien, noch umgekehrt. Vielleicht eine extraböse Parodie, zumal vor fast durchweg studentischem Publikum? Immerhin wird der Körper konsequent fortgefaselt. Doch lachen will keiner.

Einen dritten Weg in Sachen Text und Körper gehen Studierende der FU mit „Stryker“, einer etwas auseinanderfallenden Kombination aus Lesung und Choreographie. Während ein Sprecher das bedrückende Klinikprotokoll eines Querschnittsgelähmten verliest, vollführt ein weißbekitteltes Mädchen bewußt gehemmte, minimalistische Bewegungen. Meditationsgymnastik.

Und schließlich spielte sich Martin Clausen (HU) mit „Zapping to Algeria und zurück“ zum Publikumsliebling empor, indem er mit seinem vorab gefilmten Double über TV kommunizierte. Ein kurzer, komischer, intelligenter Auftritt, der souverän die Grenzen zwischen medialer und leibhaftiger Darstellung, zwischen Körper- und gesprochener Sprache überschritt, und damit den „relevanten theoretischen Fragestellungen“ den Rücken kehrte, ohne sie auszuschalten.

Eine etwas ausladendere Vermittlung zwischen Text und Spiel hatten am Vorabend Robert Pfeffer und Mathias Ott (HU) mit den „Aufzeichnungen aus einem Toten Haus“ versucht, die wahlweise unter den Schlagworten Performance und Installation liefen und sich „schamlos“ bei Dostojewski bedienen.

Installiert ist in der Tat ein mit Stoff ausgekleideter Spielraum, in dessen Mitte ein klappriges, folienumwehtes Turmgerüst steht; freischwingende, entfernt russisch inspiriert wirkende Ölgemälde (von Mathias Ott) ringsum. Von Dostojewskis halbdokumentarischem Straflagerroman bleiben das unfreundliche Klima, die Infektionsgefahren und schwere Eisenketten, die hier zwei höchst gegensätzliche Sträflinge auf zehn Jahre aneinanderfesseln.

Pfeffer gibt dafür einen botanikvernarrten Wissenschaftler, Ott den Schwabinger Maler-Bohemien, und beide lassen sich synchronisieren: Während ihre Stimmen vom Tonband erklingen, turnen und pantomimeln die Hanswürste – der eine mit wattiertem Gemächt, der andere mit verkokeltem Kassengestell – erst engagiert, bald etwas öd dem Text hinterher.

Angelegentlich wird ein aufgetautes Huhn am Pfahl zerschlagen und dies launig kommentiert („Ja, Performance! Da geht's manchmal hoch her!“). Um so schöner dagegen das ausgetüftelte Tonband, das durch seine ganz unsibirisch-unverfrorene Selbstreflexivität, ulkige Improvisationen und Otts bajuwarischen Dialekt in Richtung ringsgwandlerische Brachial-Lustigkeit stößt. Mit alledem steht zumindest fest, daß trotz des anhaltenden Trends zu Text und „neuen“ Medien sich auch die „Wissenschaftler“ unter den Theaterstudenten vor der Bühne nicht fürchten.

Studierende der HU spielen heute um 19.30 Uhr („Leben in der Dämmerung“) und am 20.2. / 21.2 um 19.30 Uhr („Hinter Mozambique“); Studierende der Ernst- Busch-Schule am 17.2 um 19.30 Uhr (Szenenstudium) und am 19.2 um 20 Uhr (Figurenspiel); Studierende der FU am 18.2 um 20.30 Uhr („Einladung zum Diner“). HU-Studiobühne, Sophienstr. 22a