The Dads are allright

Glamour und Spaß in der Hall of shame: Brian Gibsons „Still Crazy“  ■ Von Philipp Bühler

Wir wollen die Band wieder zusammenbringen“. Nein, Keyboarder Tony ist nicht im Auftrag des Herrn unterwegs. Der hat ganz im Gegenteil die Karriere der Band Strange Fruit 1977 mit einem Blitzschlag auf die Festivalbühne abrupt beendet. Klarer Fall: Gott hatte genug von den Siebzigern. „Still Crazy“ von Brian Gibson verschweigt auch nicht die guten Gründe, warum die alten Herren die Sache lieber bleiben lassen sollten: Ihr Rock ist passé, eine Reunion wäre ein Fall für die Geschmackspolizei. Daraus zieht der Film seinen schrillen Humor, was mit sich bringt, daß Rolling Stone-Abonnenten nichts geschenkt wird. Der Rest amüsiert sich prächtig.

Im UK gibt es für die Musik von Strange Fruit den schönen Begriff „Dad Rock“. Das klingt so ähnlich wie „toter Rock“ und meint die Who, die Stones und noch viel, viel armseligere Oldies. Doch in den Neunzigern gewährt König Retro auch dieser Musik eine letzte Chance: erkenne deine Peinlichkeit, treibe sie an ihre Grenzen, und du bist Glam. Erst die stete Gefahr, mitsamt der Federboa aus dem Bezugsrahmen zu fallen, macht dich zum Star.

Der x-te Versuch, als späte Rache der Siebziger ein Glamrock- Revival loszutreten? Nein, der erste. Und auch das nur zum Spaß. Während der bierernste Film „Velvet Goldmine“, dieses postmoderne Suchspiel mit seinen gebrochenen Identitäten und androgynen Zweideutigkeiten, nur ein poptheoretischer Versuch über Glamrock war, bietet „Still Crazy“ echten Glamour und Rock'n'Roll. Ohne die reflektierende Distanz von „Velvet Goldmine“ wird der Zuschauer nicht erst auf die schwierige Suche nach dem eigenen Glam geschickt, sondern er darf in den phänomenalen Soundtrack und die funkelnden Bilder direkt eintauchen. Die Stücke werden nicht nur angerissen, sondern ausgespielt, die Bühne vibriert, das Make-up geht flöten und der Schweiß fließt von den Wänden. Es stellt sich heraus: Glamrock ist auch nur Rock'n'Roll in all seiner Lächerlichkeit, also gar nicht schick, sondern authentisch, phallisch und ödipal.

Folge solcher Psychosen: Jedes der Bandmitglieder, gescheiterte Existenzen allesamt, muß erst mal auf die Couch, allen voran der fünfzigjährige Leadsänger Ray, ein egomanischer Beetle-Juice mit Kreuzproblemen, der es nie verwinden konnte, nur als Ersatz für den Star und ersten Drogentoten der Band geheuert worden zu sein; der frustrierte Antennenbauer und Bassist Les, der ihm genau das immer wieder vorhält; Tony, der es nach der Trennung der Band immerhin zum Monopolisten gebracht hat: er kontrolliert den Automatenvertrieb von Kondomen für die gesamten Balearen, ist aber unglücklich in die Managerin verliebt; sowie Drummer Beano, der eben der Drummer ist und sich deshalb in zwanzig Jahren kein Stück weiterentwickelt hat. Ein gelungener Schachzug für Film und Band: Um auch jüngeres Publikum gewinnen zu können, wird mit dem unendlich hübschen Luke der schöne Schein des Britpop gleich mitverpflichtet. Der hat keine Probleme, kriegt aber die Groupies.

Geschrieben von den „The Commitments“-Autoren, lebt auch dieser Band-Film von den Spannungen zwischen seinen liebevoll gezeichneten Charakteren. Soll heißen: die fünf hassen sich wie die Pest, und der übermalte Bus der verwesten Psychedelic Furs muß auf einer pannenreichen PR-Tour durch Holland („Hello Belgium!“) mehrmals zwischen Dornbusch und Damaskus pendeln, bis die Einsicht siegt: Echte Freundschaft und nicht die Gier nach der schnellen Kohle verhilft schließlich zur zweiten Chance.

Den Strange Fruit ist klar, daß ihr Bemühen sie geradewegs in die Hall of shame führen wird. Allein, selbst dort kann man in gute und schlechte Gesellschaft geraten. Aber „Still Crazy“ ist ein schöner und einfacher Film, der zu Herzen gehen will und das auch schafft. Weswegen wir alle überglücklich sind, als sie zwanzig Jahre später auf dem selben Festival wie Status Quo und Mott the Hoople auftreten dürfen. Der Mut zur Peinlichkeit macht Strange Fruit zur größten Band, die es nie gab.

Panorama: heute, Royal Palast, 21 Uhr 30, 17.2, Atelier am Zoo, 15 Uhr 30