Wasser macht süchtig

■ Die Donau und ihre Städte, Landschaften und Menschen: Annik Leroys „Vers la mer“

Blau ist sie nicht, die Donau, in Annik Leroys Porträt des Flusses und der Bewohner seiner Uferregionen. Auch mit der Walzerherrlichkeit eines Johann Strauß ist es in „Vers la mer“ nicht weit her. Die einzige Konzession der belgischen Regisseurin an das Klischee besteht in einem Besuch bei einem Wiener Konditor. Doch auch hier bleibt die Sachertorte im Schrank.

Leroy begleitet die Donau von der Quelle im Schwarzwald bis zum Mündungsdelta am Schwarzen Meer: Dem Konzept der Reise entsprechend, befindet sich die Kamera unter Ausnutzung aller Transportmittel meist in Bewegung – kommentarlos ziehen Landschaften, Städte und Menschen vorüber. Leroys Landschaftsbilder sind Impressionen: Aufgenommen im Normalformat und in Schwarzweiß, läßt ein kontrastarmes Licht die Konturen oft im Grau verschwimmen – ein ruhiger Gegenpol zum alltäglichen Overkill der bunten Bilder unserer Medienwelt.

In den Interviews, die die Regisseurin mit den Menschen der verschiedenen Nationalitäten führt, wird dann deutlich, wie verschieden die Leute ihre Umwelt wahrnehmen: Da begreift die Bäuerin im Schwarzwald den Fluß als Selbstverständlichkeit, und ein Schiffer aus Bayern sieht in ihm nur den Arbeitsplatz. Doch für ein slowakisches Ehepaar kam der freie Zugang zur Donau erst mit der Öffnung der Grenzen. Und während in Rumänien ein Mann von den vielen gescheiterten Fluchten in der schwer zugänglichen Donauregion berichtet und darüber philosophiert, daß auch weite Landschaften manchmal zum Gefängnis werden können, benötigt ein junger Arbeitsloser ganz einfach die Fische, die er im Fluß fängt, für seinen täglichen Lebensunterhalt.

Leroys Film zeigt auch, wie wenig die Menschen in den verschiedenen Ländern letztlich doch voneinander wissen: Die, die in Deutschland oder Österreich in relativem Wohlstand leben, sind zufrieden mit ihrer Situation und wenig neugierig auf die östlichen Nachbarn. Und in den ehemaligen Ostblockländern haben die Leute ganz andere Probleme, als sich über das Woher und Wohin des großen Stromes zu sorgen. Eines allerdings ist den Menschen gemeinsam: Wenn man am Wasser geboren ist, kann man ohne Wasser nicht leben, sagt einmal eine Frau und zieht so schon am Anfang ein schönes Fazit des Films.

Eine kleine technische Bemerkung am Rande: Als Service für die Nordlichter unter den Zuschauern hätte eine deutsche Untertitelung der Interviews mit Schwaben, Bayern und Österreichern nicht geschadet. Lars Penning

Forum: 12 Uhr, Akademie der Künste