Urbane Melancholie

Tony Buis „Three Seasons“ möchte Tradition und postkoloniale Zerrissenheit Vietnams miteinander versöhnen  ■ Von Harald Fricke

Einen Film über postkoloniale Gefühle hätte man eher im Forum erwartet. Und auch die Crew zu „Three Seasons“ ist für Wettbewerbsverhältnisse erstaunlich politisch vorgeprägt: Jason Kliot und Joana Vicente haben sich in der Bürgerrechtsbewegung engagiert, bevor sie Filme produzierten; Regisseur Tony Bui ist als zweijähriger Steppke mit seinen Eltern nach dem Vietnamkrieg in die USA emigriert; und Harvey Keitel hat Buis Debüt mitfinanziert und auch eine maßgebliche Rolle in „Three Seasons“ übernommen. Als Ex-G.I. James Hagan läßt er sich betrunken durch Saigon treiben, auf der Suche nach seiner unehelichen Tochter. Als er ihr endlich gegenübersitzt, versucht er in stockenden Worten, sich für „einen Fehler aus der Vergangenheit“ zu entschuldigen.

In drei Episoden zeigt Bui das Leben im Vietnam von heute. Es gibt den Rikschafahrer Hai (Don Duong), der von einer Nacht mit der Edelprostituierten Lan (Zoe Bui) träumt, während die Frau sich nach einem anständigen Leben jenseits der Valuta-Hotels sehnt. Es gibt Kinder, die im strömenden Regen Nippes aus ihrem Bauchladen verkaufen. Und es gibt die Lotusblumenpflückerin Kien An (Ngoc Hiep), die bei der Arbeit auf dem Tümpel mit ihrem federnden Singsang das Herz eines verbitterten Dichters für sich gewinnt. Von Lepra entstellt, lebt er zurückgezogen in den Erinnerungen an die Jugend, die mit Kien An in sein Haus zurückkehrt. Ihre Stimme trägt ihn ein letztes Mal in die Welt der Poesie. Dann stirbt er.

Das Vietnam von Bui ist ein Geflecht aus Melancholie. Ständig prasselt tropischer Regen auf die Straßen und wäscht die Lichtspuren der Neonreklamen hinweg. Fast kann man dabei vergessen, daß Saigon in Wirklichkeit Ho- Chi-Minh-Stadt heißt und kommunistisch regiert wird. Während der Aufnahmen wurde das gefilmte Material zwar von einem Zensor überprüft, das Ergebnis ist dennoch einigermaßen trist: Halb amerikanisiert zwischen Ricoh- Reklamen und Reiskuchen gibt es für die Menschen keine Identität mehr – das Leben ist eine Zeitschleife, nur die Häuser wachsen jeden Tag höher in den Himmel. Trotz seiner Kritik am modernen Vietnam, in dem die Gesellschaft emotional wie materiell auf Schlingerkurs driftet, kommt Bui ohne anklagende Kriegsbilder aus. Nachdem er im Kino immer nur gesehen hatte, „wie gesichtslose Leute im Dschungel mit Gewehren“ herumrennen, sollte „Three Seasons“ das Land aus der Sicht der Vietnamesen zeigen und „ein wenig von ihrer Menschlichkeit zurückbringen“. Trotzdem sind es von urbaner Traurigkeit gezeichnete Gesichter, die Bui anstelle der Ikonen der Vernichtung in Saigon gefunden hat.

Gleichzeitig bewegt sich er sich sehr leichtfüßig durch die Stadt. Mit einem sanften Rhythmus trägt die Kamera von Lisa Rinzler Atmosphären zusammen und reiht die Situationen wie in einem Road Movie auf. Weiß leuchtende Lotusblüten wechseln sich mit den prachtvollen Kronleuchtern der Hotels ab. Beide Entwürfe existieren nebeneinander, ohne sich zu berühren. Zuletzt will Bui allerdings eine Lösung für beide Seiten anbieten: Standhaft erobert sich der Rikschafahrer die Zuneigung von Lan. Schließlich erlöst er sie in einem schmerzhaften Ritual sogar von ihrem Dasein als Hure. Dann fallen auch Lan wieder die roten Blüten der Kindheit zu.

Vielleicht ist die Naivität, mit der Bui Tradition und Zerrissenheit versöhnen will, seinem Alter geschuldet. Mit 25 Jahren mag man noch glauben, daß die Verhältnisse sich ändern, wenn es die Liebe denn so will. Im wirklichen Leben braucht man allerdings ein paar Argumente mehr. „Three Seasons“ beschränkt sich dagegen auf die Zartheit von Bildern und Figuren.

„Three Seasons“, Regie: Tony Bui. Mit Harvey Keitel, Don Duong, Nguyen Ngoc Hiep, Zoe Bui, Vietnam/GB, 113 Min.;

Heute, 9.30 Uhr Royal Palast, 21 Uhr Urania