Anschluß gesucht: Damenriege tanzt Polonaise

■ Bonn goes Berlin: In der Ständigen Vertretung am Schiffbauerdamm führen die Jecken das Regiment wie in den Hochburgen am Rhein. 1.000 Liter Kölsch laufen durch die durstigen Kehlen

Der Mann ist sich sicher. „Ich versuch' es seit 15 Jahren. Aber heute wird es klappen.“ Der Jeck will feiern und schon schwenkt der gebürtige Rheinländer in Anzug und Krawatte seine Kölschstange hin und her und den anderen zu: Zum Schlager „Komm laß mal tanze, einmal durch de janze Saal“, schieben die Narren mit Polonaise an ihm vorbei. „De Jemeinschaft, dat is det schönste“, sagt er, während er selig seine wohlgenährten Hüften am Platz dreht.

Es ist 15 Uhr und in der Ständigen Vertretung am Schifferbauerdamm, „tanzt der Bär“. Funkemariechen vom Rosenmontagsumzug werfen Kußhändchen in die Kameras des WDR-Fernsehens. Köln und Bonn grüßen mit „Alaaf“, und die Hauptstadt ist mit dem Ruf „Berlin Hajo“ erstmalig so richtig dabei. Auf rund 100 Quadratmetern ist in der Diaspora eine neue Hochburg des Karnevals entstanden.

Denn im vergangenen Jahr hatten preußische Nachbarn noch versucht, den Gästen der Gastätte den Frohsinn mit Hilfe der Staatsmacht auszutreiben. Sie hatten vor Gericht und vor dem Beginn der „fünften Jahreszeit“ eine einstweilige Verfügung gegen Lärmbelästigung an den „tollen Tagen“ erwirkt. Laute Musik wurde verboten, und die Narren mußten ihren Schwoof über Kopfhörer hören.

Doch gestern war in der Ständigen Vertretung endlich alles so, wie es Jecken lieben: laut, heiß und voll. An den Außenwänden prangten schon vorsorglich angebrachte Schilder: Zwei Jecke raus, zwei neue rein. An Weiberfastnacht hatten die Narren nur noch in engster Umarmung „tanze könne“. Beim Zuprosten mußten sie sich regelrecht zwangsläufig in die Arme fallen. Die Thekenmannschaft, regional gemischt, ist von dieser überschäumenden Entwicklung begeistert: Die Berliner, weil „sie beim Arbeiten Bier trinken dürfen“, und die Rheinländer, weil sie bei den Berlinern Fortschritte sehen: „Wir Rheinländer sind de janze Jahr Jeck. Aber langsam kommen die Berlin auch auf de Trichter“, sagt Barkeeper Uwe, der seinen Lokalpatriotismus neuerdings ganz gerecht aufteilt: „Leben will ich in Berlin, sterben in Kölle.“ Dann grinst der schmale Uwe und hebt die Arme in die Luft: „Wir lasse de Dom in Kölle, denn da gehört er hin ...“ Uwe ist im Dienst, und als rheinische Frohnatur gehört das Schunkeln und Singen und Bützen zum Berufsbild und Menschsein schlechthin dazu. In der Ständigen Vertretung ist wie in den Karnevalshochburgen im Rheinland der Rosenmontag schließlich der Feiertag, der „vor Ostern und Weihnachten“ kommt, und da sind auch 1.000 Liter Kölsch, die an diesem Tag fließen, nicht falsch berechnet.

Ein Berliner Clown ist mit seinen Freunden da. Und erklärt, warum er für den Karneval eine Ader hat. Wie zum Beweis hebt er seine volle Stange und kippt sie nach kölscher Manier auf ex. Die Schminke hat sich der kräftige Mann kunstvoll selbst ins Gesicht gemalt: Ein lachendes, ein weinendes Auge in Schwarzweiß. Doch Stunden später, so stellt man sich unwillkürlich vor, wird seine Maskerade eher an Aquarellmalerei erinnern. Doch der Mann will schließlich was erleben: Er hat zwei Tage Urlaub genommen; den einen zum feiern, den anderen zum schlafen.

Eine Heimleiterin gegenüber am Tresen hat gleich ganz blau gemacht. „Meinen Namen wollen sie ja wohl nicht wissen?“ Der Wille, mal so richtig lustig zu sein, steht ihr mit gemalten Herzchen ins Gesicht geschrieben. Den Witz des bierbäuchigen Thekennachbarn, „aber nichts über die unehelichen Kinder verraten“, erwidert sie mit einem Grinsen, ist ja schließlich Karneval. Ihre Freundinnen sind skeptischer, bis auch sie sich dem Trubel nicht mehr entziehen können und alle singen: „Schau mir in die Augen, was ist schon dabei, alles was geschehen wird, kann nur Schicksal sein“, und die Damenriege sucht bei heiterer Polonaise mit Anfassen Anschluß. Annette Rollmann