"Westerwelles neue FDP ist gescheitert"

■ Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über liberale Identität, das Profil ihrer Partei und eine überforderte FDP-Führung

taz: Die FDP sitzt in Hessen wieder in einer Regierung, in Bonn ist sie aufgrund ihrer Optionslösung beim Staatsangehörigkeitsrecht auf einmal im Gespräch. Geht's aufwärts mit Ihrer Partei?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Regierungsbeteiligung ist eine Chance, aber es wird dadurch eine ehrliche Analyse verdrängt. Zum Beispiel, daß die FDP in den letzten zwei Jahren keine Wahl gewonnen und sie in Hessen 2,3 Prozent der Stimmen eingebüßt hat. Die FDP darf nicht verkennen, daß sie sich derzeit auf abschüssiger Ebene befindet.

Die FDP-Spitze redet sich damit heraus, durch die Polarisierung beim Thema Staatsangehörigkeit in Hessen unter die Räder gekommen zu sein.

Die Begründung der Parteispitze für die anhaltende Serie von Wahlniederlagen ist in sich widersprüchlich und wechselt von Mal zu Mal. Die FDP hatte bei der Hessen-Wahl eine optimale Ausgangslage. Unsere Spitzenkandidatin ist erfahren und in Hessen bekannt. Wir lagen mit unserer Optionslösung beim Staatsangehörigkeitsrecht richtig. Von der CDU können wir diejenigen Wähler erreichen, die den zunehmend rechtspopulistischen Kurs nicht mitmachen wollen. Menschen, die für kulturelle Pluralität stehen. Von den Grünen können wir die enttäuschten Realos gewinnen, die den fundamentalistischen Kurs zum Beispiel in der Atompolitik nicht mitmachen oder in der Wirtschafts- und Sozialpolitik liberale Reformen wollen. Daß wir trotz dieser guten Ausgangslage so viele Stimmen verloren haben, muß uns mit echter Sorge erfüllen.

Die FDP hätte nach Ihrer Analyse bei der Hessen-Wahl sogar zulegen müssen. Warum ist das nicht gelungen?

Soweit die Wähler überhaupt eine Vorstellung von der derzeitigen FDP-Politik haben, beschränkt sie sich auf das, was im wesentlichen von zwei Personen proklamiert wird: Generalsekretär Guido Westerwelle und Partei- und Fraktionschef Wolfgang Gerhardt. Ich habe den Eindruck, zwei Leute allein sind überfordert. Das Bild der FDP ist zu einseitig und inhaltsarm.

Westerwelle klagt, daß die FDP in den Medien mit ihren Themen nicht durchdringt.

Das eigentliche Problem ist, daß die FDP von Thema zu Thema, von Event zu Event springt. Mal machen wir Stiftungsreform, mal eingetragene Partnerschaft, mal Tierschutz, mal Umgang mit Steuergeldern. Das sind alles richtige Themen, aber daraus entsteht kein Bild einer liberalen Partei. Es werden zu wenige Themen kontinuierlich anspruchsvoll besetzt und mit Personen identifiziert. Zum Beispiel Außenpolitik, wo die FDP traditionell stark war und Friedens- und Europapolitik das Zukunftsthema ist. Kaum jemand weiß doch, wer von uns in diesem Bereich für was steht.

Die FDP scheint zur Zeit aber kein Interesse daran zu haben. Westerwelle hat gesagt, er begreife die Europawahl in erster Linie als „Protestwahl“.

Westerwelle ist kein Europapolitiker, er sieht die Europawahl mit der Bonner Brille. Mit dieser Sicht reduziert sich die FDP zu sehr. Schließlich ist die FDP nicht wie Stoiber und Schröder europaskeptisch. Die Deutschen sind keine Protestler. Sie wollen wissen, warum sie protestieren sollen. Und was wir, die FDP, wollen.

Und was will die FDP?

Die FDP will ein demokratisches Europa, sie will ein starkes Parlament und mehr Rechte für die Bürger in Europa. Sie sollen sich direkt an den Europäischen Gerichtshof wenden können. Das ist ein klassisches Bürgerrechtsthema. Die FDP will mehr Kontrolle der Kommission. Wir wollen eine europäische Verfassung.

Offenbar glaubt die FDP- Spitze nicht, daß sie damit Wahlen gewinnen kann.

Der FDP fehlt ein selbstbewußtes Bekenntnis zu ihrer Tradition. Westerwelle wollte mit einer neuen FDP die alte ersetzen. Aber die neue FDP ist gescheitert. Die FDP muß sich auch durch die Berufung auf hervorragende Tradition neu legitimieren. Sie sollte fortsetzen, was Genscher und Kinkel gemacht haben. Aber diese Namen tauchen ja gar nicht mehr auf.

Westerwelle hat als neues Thema für die FDP die innere Sicherheit entdeckt. Sein Slogan lautet: Keine Freiheit ohne Sicherheit. Ist das etwa nichts?

Dahinter steckt ein total falsches Verständnis von liberaler Innenpolitik. Wenn ich als Liberaler den Anspruch aufgebe, mich im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit im Zweifel für die Freiheit zu entscheiden, weiß ich nicht, wie man liberale Überzeugung darlegen will. Im übrigen ist diese Haltung widersprüchlich. Man kann nicht in der Wirtschafts- und Sozialpolitik den Staat am liebsten abschaffen wollen und in der Innenpolitik auf den starken, mit immer mehr Eingriffsbefugnissen ausgestatteten Staat setzen.

Aber kann die FDP mit Bürgerthemen denn noch bestehen?

Bundesinnenminister Otto Schily hat das Grundrecht auf Sicherheit gefordert. Damit meint er, der Staat sei legitimiert, alles für die Sicherheit zu tun. In der europäischen Menschenrechtskonvention bedeutet Grundrecht auf Sicherheit das glatte Gegenteil: die Sicherheit vor dem Staat. Mit der Äußerung Schilys soll die Einschränkung der Freiheitsrechte eine ganz neue Rechtfertigung bekommen. Liberale müssen dagegen angehen, um nicht in die Bedeutungslosigkeit zu rutschen. Das gilt auch für die Felder Informationsgesellschaft, Datenschutz, Biotechnologie, Gentechnik.

Das sind nicht gerade Themen, mit denen man Wahlen gewinnt.

Das ist die Frage. Diese Themen machen liberale Identität aus. Es geht um Werte, die wir in die Entwicklung der Umbruchgesellschaft einbringen und gesichert wissen wollen. Und wenn wir wollen, daß man uns diese Werte zurechnet, müssen wir sie ständig vertreten. „Im Zweifel für die Freiheit“ ist keine Floskel, sondern Politik.

Die Führungsspitze der FDP scheint anderer Meinung zu sein.

Deshalb muß man fragen, wie die FDP personell repräsentiert werden soll und ob nicht Ergänzungen sinnvoll sind. Aber solche Debatten sind nicht gewünscht. Im Moment herrscht an der Basis Lethargie. Sie bekommen nicht einmal Leute, um Plakate zu kleben.

Woran liegt das?

Zum einen, weil man sich in der Art und Weise, wie die FDP Themen besetzt, nicht wiederfindet. Zum anderen wegen des Gefühls, innerparteilich nichts bewegen zu können.

Sie scheinen ja auch abgetaucht zu sein. Sie waren zum Beispiel nicht beim Dreikönigsteffen.

Ich habe es vorgezogen, an der Basis in meinem Kreisverband zu sein.

Beim Europatag der FDP saßen sie nur kurz auf der Bühne.

Da bin ich zu unserem bayerischen Kandidaten gegangen. Außerdem fand ja keine Diskussion zu Europa statt.

In den Medien war von Ihnen auch nichts zu hören.

In der Opposition ist es generell schwieriger, wahrgenommen zu werden. Vor der Hessen-Wahl wollte ich keine programmatische Debatte, um nicht an dem Ergebnis schuld zu sein. Ich hoffe, daß die Parteispitze allmählich einsieht, welche Optionen sich durch den Rechtsruck der CDU und durch die Frustration der sozialliberalen Anhänger der SPD und Grünen ergeben.

Sind damit auch die Chancen für eine Koalition mit der SPD in Bonn gestiegen?

Erst einmal müssen wir uns inhaltlich positionieren. Wir sollten aber der Union deutlich machen, daß wir die Möglichkeit haben, uns mit den anderen zu verständigen. Interview: Markus Franz