■ Karneval im Selbstversuch (Teil 3 von 4)
: Kratzspuren auf den Wangen

Soviel steht fest: Zu meinen jährlichen zwei Bier sind in diesen Tagen doch unerwartet viele Kölsch hinzugekommen. Und nur so, liebe Kölner taz-Leserin mit den „karnevalistischen Grüßen“, ist es wohl zu erklären, daß ich gestern vom „Päffken“ sprach – „Päffgen“ muß es natürlich heißen, mit „g“ wie „gebützt“.

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Kurz bevor wir im Ladenlokal der „Päffgen“-Brauerei eintrafen, müssen sich dort erschütternde Szenen abgespielt haben. Der Saal tobte und tanzte, und die Köbesse – möge dies der korrekte Plural sein – waren allesamt nicht nur von Bütz-, sondern auch von heftigen Kratzspuren auf den Wangen gezeichnet. Der Karneval, erklärt man mir, liefere manchen Gästen eben auch Gelegenheit, es den professionellen Kölschkellnern heimzuzahlen.

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Glücklicher dran war da Madame Päffgen, die es sich nach Art einer Concierge in einer Nische des Lokals eingerichtet hatte, wo sie abwechselnd CDs mit Karnevalsmusik und große Geldscheine sortierte.

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Kopfbedeckungen, bemerkenswerte: Beim Modell „Präsent“ sägt man aus einem dekorativen Geschenkkarton den Boden aus und bohrt zwei Gucklöcher in die Frontseite. Modell „Kohlkopf“ besteht aus künstlichen Kohlblättern, die naturgetreu um das Gesicht herum angeordnet werden. Wärmt die Ohren!

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Der Kölschpreisskandal nimmt übrigens wahrhaft ungeahnte Ausmaße an. „Auch Büdchen zocken ab!“ prangert der Kölner Express („Hier liest man Express“) an: 3,50 Mark verlangen skrupellose Kioskbesitzer für eine Dose Kölsch. „Normal sind 1,80 DM.“ Die Begründung der Preistreiber lautet: „Wir arbeiten schließlich, wenn die anderen feiern.“ So geht es wirklich nicht.

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Rosenmontag. Reiseleiter Blaschkes Tagesbefehl: Sammeln unterm Chlodwigstor, dann Bier kaufen, anschließend Position an der Severinstraße beziehen.

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Schritt für Schritt winden wir uns durch die Menge sowie eine in Seerfucker-Bettwäsche gewandtete, infernalisch lärmende Trommelgruppe. Dann stecken wir fest. Von meinem Beobachtungsposten aus kann ich recht gut sehen, u.a. den Wagen des Zugleiters Alexander v. Chiari. Das Gefährt steht im Zeichen der Raumfahrt; obenauf hält Commander v. Chiari über Funk Kontakt zu den herannahenden Umzugsteilnehmern und grüßt freundlich, wenn sie vorüberziehen. Man huldigt ihm, obwohl er kein Kölsch, sondern Sekt trinkt: ein doch etwas deplaziert wirkendes Burgfräulein füllt ihm in regelmäßigen Abständen den silbernen Becher auf.

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Enthusiastische „Kamelle!“-Rufe branden auf: „De Erdäpfle kümme!“ (beziehungsweise: Der Kartoffelwagen kommt!) Karnevalswagen, dämmert mir langsam, müssen gelesen werden. Dieser hier z.B. erzählt mittels spanischer Fähnchen und Pappkaufleuten von der Kulturgeschichte der Kartoffel. An Deck stehen, dichtgedrängt, Männer mit Kochmützen und schleudern Schokolade und Pralinenschachteln von Bord. Ich kann nur knapp einer Tafel Vollmilchschokolade ausweichen. Am Kartoffelheck prangt in großen Buchstaben „Heute: Wat wär Kölle ohne Rievkoche?“ Darüber sollte man einmal nachdenken.

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Ebenso über die Botschaft eines Wagens, der einen gigantischen einsamen Dichter am Pult samt Federkiel befördert. Hinter ihm bemalte Stelltafeln mit einer harschen Kritik des Computerzeitalters: „Papier, Papier, Papier“ heißt es da. Ich bin verwirrt.

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Dieser Zug endet hier. – Über die Straße ist ein großes Transparent gespannt. „HIER WERFEN EINSTELLEN“ mahnt es die Umzügler, denn nur wenige Meter weiter teilt sich „dr Zoch“ in zwei Gruppen: „LINKS: BAGAGEWAGEN – RECHTS: REITER. WERFEN EINSTELLEN!“

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Dort, wo die Wagen schließlich an ihrem Ziel angekommen sind und auch schon die städtische Müllabfuhr auf sie wartet – die Müllmänner haben einen bemaulkorbten Pittbull dabei –, liegt ein Lokal namens „Opera“: Und hier trinke ich, glaube ich zumindest, das fünfte Kölsch des Tages. Weitere werden folgen. Es ist vier Uhr nachmittags.