Rosa Wattestäbchen

Der Körper der Frau, feministisch neu befragt: Das Austellungsprojekt „Skulptur Figur Weiblich“ in Chemnitz  ■ Von Katrin Bettina Müller

Valie Export reizt den Schmerz. Unmittelbar rühren die langen Stahlnägel, die sie durch die Fingerspitzen eines Handschuhs und einer Gipshand geschlagen hat, an das körperliche Empfinden. Bis unter die Zehennägel vermeint man den Schmerz dieses gefesselten und gequälten Körpers zu spüren, den der feministisch geschulte Blick auf die Konstruktion weiblicher Schönheitsideale und ihre gewaltsame Umsetzung zu beziehen gelernt hat.

Mit Louise Bourgeois, Nancy Spero und Niki de Saint Phalle gehört Valie Export zu den Künstlerinnen, die das Terrain für eine Neubefragung des Körpers in der Kunst der siebziger Jahre bereitet haben. Mit ihnen beginnt der Rückblick auf die Geschichte der feministischen Skulptur, den Barbara Wally für die Landesgalerie Oberösterreich in Linz erarbeitet hat; doch was im Katalog funktioniert, befriedigt an der zweiten Station der Ausstellung „Skulptur Figur Weiblich“ in der Kunstsammlung Chemnitz nicht ganz. Dem akademischen Projekt fehlt es etwas am Fleisch der Skulptur: Zu wenig ist zum Beispiel von der Amerikanerin Louise Bourgeois zu sehen, um ihre Rolle als Vorgängerin für die Übersetzung erotischen Begehrens und körperlicher Ängste in Skulpturen und Räume begreifen zu können. Andere im Katalog vertretene Künstlerinnen wie Marisol oder Frederike Pezold fehlen ganz.

Doch deutlich wird in der Ausstellung, daß die relativ weit gediehene Selbstverständlichkeit, mit der Künstlerinnen heute am Kunstbetrieb teilnehmen, in einer Geschichte wurzelt, die erst vor knapp drei Jahrzehnten begann. Übermütig und gut gelaunt muten heute die beiden buntgeblümten Puppen einer „Tea Party“ von Niki de Saint Phalle von 1971 an, die kleine Männer und Krokodile zum Tee verspeisen. Ihre ausufernde Leiblichkeit und ihr alles verschlingender Appetit wandeln den Mythos vom mütterlich Nährenden ins Burleske. Auch die Amerikanerin Nancy Spero, lange erbittert auf der Spurensuche nach den verschütteten Geschichten von weiblichen Gottheiten und mythischen Heldinnen, kann heute ihre Recherche mit Humor betrachten. In „Sheela at Home“ hängt sie das Bild einer keltischen Fruchtbarkeitsgöttin mit Strümpfen und Unterhemden auf die Wäscheleine.

Dieser distanzierte Blick auf die feministischen Bemühungen, in der Geschichte Spuren des verdrängten Weiblichen auszumachen, fehlt den theoretischen Beiträgen des Katalogs. Da strickt Mariella Reininghaus an einer schlichten Linearität, die von der unvermeidlichen Venus von Willendorf bis zu den Vaginalplastiken der Amerikanerin Hannah Wilke eine Kontinuität weiblicher Symbole behauptet, statt zu fragen, warum es für Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen noch in den siebziger Jahren notwendig war, ihren Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft mit einem Griff in eine mythische Vorgeschichte abzusichern.

In den Werken der jüngeren Künstlerinnen dagegen wird die Mythisierung des Weiblichen und seine Identifikation mit dem Natürlichen kaum weniger ironisch betrachtet als die funktionalen Rollenklischees der Gegenwart. Ulrike Lienbacher (aus Österreich, geb. 1963) hat für die Konsumenten des Weiblichen eine praktische Serienanfertigung entworfen, indem sie die Formverpackungen für Pralinen wie Zungen und Schamlippen formt. Der Gegensatz zwischen der sachlichen Form der aufgestapelten Verpackungsfolien und ihrem Appell an die Sinne des Betatschens und Lutschens erzeugt einen merkwürdigen Zwiespalt der Wahrnehmung, als könnten einzelne Empfindungen aus dem Körperganzen isoliert werden. Auch das amöbenhafte Wesen, das Ilse Haider aus rosa Wattestäbchen montiert hat, beschreibt keine selbstgewisse Ganzheit, sondern ein blind tastendes Begehren: Die mechanisch bewegten Glieder enden in Vertiefungen, deren mit rosa Stacheln besetzte Haut sich abwechselnd nach außen stülpt und wieder nach innen gesaugt wird. Dieser Körper saugt am Raum, ohne Bewußtsein seiner eigenen Begrenzung. Der Tendenz zur Auflösung ins Formlose gibt auch Ava Gerber (USA) nach, die Mieder und Hüfthalter aus sprengfesten Textilien mit alten Kissen ausgestopft hat. Das unförmige Watscheln dieser Skulpturen übersetzt den Ekel und die Angst, mit denen man dem Altern des Körpers begegnet, in ein zugleich komisches und trauriges Bild.

Doch es ist längst nicht mehr nur der weibliche Körper, der von dem veränderten Skulpturbegriff der Künstlerinnen, die aus der Differenz zwischen öffentlichen Bildern und innerer Wahrnehmung schöpfen, profitiert. Die Ausstellung „Skulptur Figur Weiblich“ allerdings engt den Gegenstand des Interesses der Künstlerinnen auf das Bild der Frau ein. Dadurch verschenkt sie die Chance, die vielfältigen Diskurse, die sich auf den Körper beziehen, zu aktivieren. Die Werke der fast dreißig Künstlerinnen werden damit etwas reduziert, im Sinne einer Antwort auf die männliche Dominanz in der Bildhauerei betrachtet. Denn als „männlichste“ der Kunstgattungen und historisch vorbelastet galt die Bildhauerei nicht zuletzt deshalb, weil sie sich über Jahrhunderte hinweg am Thema des weiblichen Körpers ausgetobt hat.

Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz, bis 5. April 1999