Das Portrait
: Chinas unbeugsame Journalistin

■ Gao Yu

Ein schöneres Geschenk zum chinesischen Neujahrsfest konnte es für Gao Yu wohl nicht geben: Am Montag wurde die 55jährige Journalistin überraschend freigelassen – sieben Monate vor Ablauf ihrer sechsjährigen Haftstrafe. Gao leidet an Bluthochdruck sowie Herz- und Nierenproblemen. Chinas Behörden hatten trotz internationaler Appelle bisher stets abgelehnt, sie vorzeitig freizulassen. Denn Gao weigerte sich, die ihr zur Last gelegte „Weitergabe von Staatsgeheimnissen an Personen außerhalb des Landes“ zu gestehen. Aus professioneller Sicht hatte sie nur ihren Job getan.

Gaos Verbrechen bestand darin, unter Pseudonym in zwei Hongkonger Blättern über die Politik der Kommunistischen Partei Chinas geschrieben zu haben. Das Urteil gegen sie galt als Warnung an chinesische Journalisten, die Finger von sensiblen Themen zu lassen. Ihre Verhaftung im Oktober 1993 – zwei Tage bevor sie zu einem Journalistikkurs in die USA reisen wollte – wie auch ihre jetzige Freilassung zeugen vom Gespür der chinesischen Regierung für geschicktes Timing. Denn in zwei Wochen wird US-Außenministerium Madeleine Albright in Peking erwartet. Das sino-amerikanische Verhältnis hat sich in letzter Zeit merklich abgekühlt – nicht zuletzt wegen der jüngsten drakonischen Urteile gegen chinesische Bürgerrechtler. Gaos Freilassung bietet Peking jetzt die Möglichkeit, wieder Punkte zu sammeln, ohne dabei ein Risiko einzugehen.

Gao begann ihre Karriere 1979 bei der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. In Konflikt mit der Regierung geriet sie erstmals 1985, als sie über den in Ungnade gefallenen Journalisten Liu Binyan und zwei andere Dissidenten schrieb. 1988 wurde sie stellvertretende Chefredakteurin der privaten Wirtschaftswoche. Während der Protestbewegung 1989 bat sie der Chefredakteur der Volkszeitung, die in Peking demonstrierenden Studenten zum Abbruch ihres Hungerstreiks und zur Räumung des Tiananmen-Platzes aufzufordern. Wenige Stunden vor dem Massaker wurde sie verhaftet. Nach 14 Monaten konnte sie das Gefängnis aus gesundheitlichen Gründen verlassen, wurde aber fortan beschattet.

Zu Gaos Auflagen gehört jetzt, nicht zu Journalisten zu sprechen. Sie hofft, ab Oktober den versäumten Journalistenkurs in New York nachholen zu können. Sven Hansen