Mit einer Ladung Kunstdünger flußaufwärts

Nicht überholen, langsam an den Bojen vorbei: Zwei Tage mit einem Binnenschiffer auf der bayerischen Donau – dort wo sie nun wohl nicht so ausgebaut wird, wie die Schiffer es am liebsten hätten  ■ Von Nils Kopp

Damit hab' ich nicht gerechnet.“ Albrecht Scheubner schaut auf den Radarschirm. Die grünen Punkte und Kleckse rucken alle paar Sekunden nach unten, ein Klecks etwas langsamer als die anderen. Er steht für den ungarischen Schleppverband „Gönyes“. „Gönyes zu Berg – zweiundzwanzig – dreiundfünfzig“, hatte Scheubner über sein Funkgerät vernommen. „Jenny zu Berg – zwoundzwanzig – zwoundfünfzig“, war seine Antwort. Der Ungar ist erst bei Stromkilometer 2.253. Er fährt, wie wir, stromaufwärts. Wir sind jetzt einen Kilometer hinter ihm, vor einer Stunde waren es noch vier. Ein Überholmanöver scheint unausweichlich.

„Die Herausforderung brauch' ich nicht unbedingt“, seufzt Scheubner. Was auf Rhein, Main und Elbe ein Kinderspiel ist, kann auf der bayerischen Donau ein Wagnis sein. Besonders auf dem Streckenabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen. Auf diesem Abschnitt fließt die Donau noch weitgehend in natürlichen Bahnen und wird weder durch Wehranlagen noch Schleusen aufgehalten. Damit verbunden sind Felsen und Untiefen, Sandbänke, schmale Fahrrinnen und starke Pegelschwankungen. All das lädt nicht ein zu Überholmanövern.

Scheubner deutet auf das Echolot, das 1 Meter 50 unter dem Kiel anzeigt. Manche Kollegen würden mit weniger als zwanzig Zentimetern zu Grund fahren, erzählt er. Das sei gegen die Vorschrift, aber gut für's Geschäft. Je tiefer das Schiff im Wasser liegt, um so höher ist es beladen. Bei 8 von 10 Fahrten mußte Scheubner im vergangenen Jahr wegen zu niedrigen Wasserstandes Güter abladen, bevor er die Strecke Straubing-Vilshofen befuhr. Statt der 1.400 Tonnen Kunstdünger, die er nun an Bord hat, hätte er bei Niedrigwasser nur 520 mitnehmen können. Bezahlt wird pro Tonne, die Kosten bleiben dieselben.

„1,1“ zeigt das Echolot, und Scheubner kurbelt am Drehzahlregler. Der Motor verlangsamt seinen Takt. „Im Sommer schauen hier die Felsen aus dem Wasser.“ Jetzt gibt es nicht viel zu sehen. Draußen ist der Winterabend hereingebrochen. Der grüne Radar- Monitor taucht das Gesicht des Steuermanns in fahles Licht. Angestrengt manövriert er die „Jenny“ möglichst eng an den Bojen vorbei. Nur ein paar Meter nach links oder rechts, schon wäre vielleicht jenes unangenehme Knirschen zu hören, das den Schiffsführer daran erinnert, daß Schiffe zum Fahren Wasser brauchen. „Fahren Sie weiter, wir überholen, wenn Sie schlafen“, sagt Scheubner ins Funkgerät. Die Besatzung der „Gönyes“ wird gleich Feierabend machen. Scheubner will so lange hinter dem Schleppverband bleiben. Das ist sicherer.

Um die Situation auf der Donau zu entschärfen, hat man an den Ufern Buhnen gebaut, die den Wasserspiegel in der Mitte des Flusses anheben sollen. Auf manchen wachsen Bäume und Sträucher. Von solchen Buhnen hält Scheubner nichts. „Sie machen den Fluß nicht schöner und nützen letztlich nicht viel.“ Ein 20 bis 30 Zentimeter höherer Pegel ist zu wenig, um die Donau zu der Wasserstraße auszubauen, die sie sein könnte. Dazu, so der Binnenschiffer Scheubner, bräuchte man „drei Staustufen, die bei Niedrigwasser den Wasserspiegel anheben.“ Seitdem jedoch ein Sozialdemokrat im Bundesverkehrsministerium sitzt, ist das unwahrscheinlich geworden. Nach seinem Amtsantritt hat Franz Müntefering im Verkehrausschuß des Bundestages angekündigt, daß es mit Rot-Grün keine zusätzlichen Staustufen an der Donau geben werde.

Am linken Ufer hat sich jetzt die „Gönyes“ einen Schlafplatz gesucht. „Gute Reise, Gönyes“, funkt Scheubner. „Danke Kollege, ebenfalls“, erwidert eine Stimme.

„Würde die Donau gestaut, stünde das Wasser hier bis zu diesem Kasten“, empört sich Hubert Stelzl. Er steht an der Hauswand des „Mühlhamer Kellers“. In dem Glaskasten hängt die Speisekarte. Das Gasthaus liegt direkt am Donauufer, der Biergarten bietet einen weiten Ausblick auf die Mühlhamer Schleife, die zu den wertvollsten Auenlandschaften Deutschlands gehört. Einheimische aus Mühlham und dem nahegelegenen Niederalteich wehren sich gegen die „Staustufenlösung“. Auch der Mathematik- und Physiklehrer Stelzl trat dem Verein „Rettet die Donau“ bei. Daß sich bei Mülham der entschiedenste Widerstand gegen den Ausbau formiert hat, ist kein Zufall. Bis zur Isarmündung ist die Uferlandschaft geprägt von großflächigen Auenwäldern und Feuchtgebieten. Das Bundesamt für Umweltschutz hatte es vorgerechnet: Wird die Donau gestaut, werden die Pegelschwankungen kleiner. Der Wasserspiegel steigt nicht mehr so hoch und fällt nicht mehr so tief wie jetzt. Fast die gesamte Ufervegetation stünde dann ständig im Wasser und würde „absaufen“.

Fünf Kilometer flußaufwärts liegt das Naturschutzgebiet Staatshaufen. Die Wiesen sind verschneit, auf den Auentümpeln hat sich Eis gebildet. Am anderen Ufer liegt Niederalteich. Inmitten einer Gruppe winterlich karger Bäume steht dort ein ebenso karges Holzkreuz. Ein Symbol für zahlreiche Umweltschutzgruppen. Der Abt von Niederalteich betet einmal im Monat für den Erhalt der freifließenden Donau. „Wir sind nicht gegen die Schiffahrt“, erklärt Stelzl, „wir sind durchaus für flußbauliche Maßnahmen. Die Staustufen aber sind nicht in erster Linie für die Schiffer gedacht. Vielmehr sollen hier auf Kosten der Steuerzahler billige Wasserkraftwerke gebaut werden. Das haben manche Schiffer noch nicht durchschaut.“

Albrecht Scheubner und seine Frau Karin verstehen Umweltschutz auf ihre Weise. Groß wie ein Bullauge, so daß er auch vom Ufer zu sehen ist, haben sie den Aufkleber mit der Weissagung der Cree an den Eingang ihrer Schiffswohnung geklebt: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet...“ „Das Schiff ist das umweltfreundlichste Verkehrsmittel überhaupt“, sagt Scheubner. Sein Schiff „Jenny“ könne soviel laden wie 92 LKW und verbrauche weit weniger Diesel: 1,3 Liter pro Tonne und Kilometer. Zum Vergleich: Die Bahn braucht 1,7 und der LKW 4,1 Liter Dieselkraftstoff pro Kilometer.

Diese Nacht hat die „Jenny“ in Deggendorf vor Anker gelegen. Bis 23 Uhr stand Scheubner hinter Radar, Drehzahlregler und Autopilot. Am nächsten Morgen hat er den Matrosen Frank um 5 Uhr 45 aus dem Schlaf geklingelt: „Wir fahren weiter“. Es ist noch dunkel, als wir auf die Deggendorfer Eisenbahnbrücke zusteuern. Sie wurde gebaut, lange bevor es den Main-Donau-Kanal gab, als die bayerische Donau noch eine Sackgasse war. Scheubner schaut kritisch auf das näherkommende Bauwerk. Dann verläßt er sein Steuerhaus und schraubt an der Radarantenne, bis sie sich um zwanzig Zentimeter absenkt, und steuert weiter auf die Brücke zu. Eine Schiffslänge davor eilt er noch mal hinaus und schraubt. Nur eine Handbreit trennt das Dach des Steuerhauses schließlich von der Brücke. Im letzten Jahr hatte ein Ausflugsschiff mehrere Wochen in Deggendorf gelegen, weil der hohe Wasserstand eine Durchfahrt unmöglich gemacht hatte.

Inzwischen ist es hell geworden, dennoch gibt die niederbayerische Landschaft nicht viel von sich preis. Hinter den beiden Baumreihen am Ufer sind verschneite Auenwiesen zu erahnen. Vor uns fliegen Enten knapp über dem Wasser im Morgennebel und hinterlassen ein paar grüne Flecken auf Scheubners Radarschirm.

„Schleuse für Jenny. Sie können einfahren.“ Gegen Mittag erreichen wir bei der Straubinger Schleuse das Ende des noch nicht ausgebauten Donauabschnitts. Im vergangenen Jahr sind Wehr und Schleuse fertig geworden. Mit ihrem Bau gingen umfangreiche Maßnahmen einher, die den Verlust der natürlichen Uferlandschaften durch nachgebildete Auen wiedergutmachen sollen. Die Schleusentore öffnen sich, und vor uns liegt ein See. Das Echolot mißt 5 Komma 2 Meter. Wir überholen den Schleppverband „Hochrhein“, obwohl uns gerade die MS „Kevin“ entgegenkommt. „Kein Problem“, sagt Scheubner, „jetzt beginnt der gemütliche Teil.“

Weidenstümpfe ragen aus dem Gras am rechten Ufer. Sie sind die Überbleibsel einstiger Auenwälder. Kleine Steinwälle schützen die Wiesen vor Erosion. Auf der linken Seite reicht das Wasser bis zum Damm. „Sicher verschwinden einige Tiere und Pflanzen, dafür kommen aber andere hinzu. Die Landschaft verändert sich, aber ich weiß nicht, ob sie sich deshalb auch verschlechtert“, meint Scheubner.

Was die landschaftskulturellen Schäden betrifft, sei das Schiff das mit Abstand umweltschädlichste Verkehrsmittel, meinen dagegen die Umweltschützer. Das mache auch den Vorteil des geringen Treibstoffverbrauchs zunichte. Wenn es indes nach Schiffern wie Scheubner ginge, wäre jetzt wieder die Natur an der Reihe, ein Opfer zu bringen. Die Schiffahrt, meint er, opfere genug: „Rund 20 Prozent der Gesamtkosten hat man beim Bau der Straubinger Schleuse für Naturschutz ausgegeben. Welcher Privatmann würde das tun, wenn er ein Haus baut?“

Der Drehzahlmesser zeigt 380 Umdrehungen pro Minute, das ist volle Kraft. Übermorgen wird „Jenny“ in Bamberg erwartet.

Auf dem Weg von Staatshaufen nach Mühlham erzählt der Donauschützer Hubert Stelzl von der Jahreshauptversammlung seines Vereins im Deggendorfer Wirtshaus „Blaue Donau“. Die Ankündigung Münteferings ist zwar noch nicht offiziell bestätigt, dennoch feierten die Donauretter sie als ihren Erfolg. Stelzl ist sicher: Auch in Zukunft wird die Donau zwischen Straubing und Vilshofen frei fließen. „Die SPD kann ihren Leuten hier, die sich hier dafür eingesetzt haben, jetzt unmöglich in den Rücken fallen“, meint er, als wir auf den Parkplatz des „Mühlhamer Kellers“ einbiegen. „Mühlham am Stau?“ fragt dort ein Schild: „Nie.“