Hoffnung für Zwangsarbeiter

■ Bundeskanzler Schröder und Unternehmensvertreter beschlossen gestern die Gründung eines Entschädigungsfonds. Zusätzliche Ansprüche aus Sammelklagen sollen abgewehrt werden

Bonn (taz) – Jetzt ist es amtlich: Um die Ansprüche ehemaliger NS-Zwangsarbeiter auf Entlohnung wenigstens zum Teil zu begleichen, wird ein Entschädigungsfonds gebildet. Bundeskanzler Gerhard Schröder und zwölf führende Vertreter der deutschen Wirtschaft einigten sich gestern darauf, eine „Stiftungsinitiative deutscher Unternehmen: Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ ins Leben zu rufen.

Die Initiative besteht aus zwei Elementen: Zum einen soll ein humanitärer Fonds zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter und anderen NS-Geschädigter gebildet werden. Eine Stiftung soll zum zweiten Forschungs- und Zukunftsprojekte zum Thema Nationalsozialismus fördern.

Der Bundeskanzler betonte, es gehe nicht um Wiedergutmachung. Nach Schröder solle der Fonds die deutsche Wirtschaft vor Sammelklagen, etwa aus den Vereinigten Staaten, schützen. Den Unternehmen müsse größtmögliche Rechtssicherheit zuteil werden. Ehemalige Zwangsarbeiter sollen in Zukunft ihre Klagen nicht mehr direkt gegen den Konzern erheben können, bei dem sie beschäftigt waren. Statt dessen solle der Fonds alle Ansprüche „unbürokratisch, schnell und individuell“ bearbeiten. Zwischenstaatlichen Abkommen müßten die Wirtschaft vor „Kampagnen“ und Klagen schützen, die auch das Ansehen der Bundesrepublik beschädigen könnten. Schröder sagte den Unternehmen „jede erdenkliche Unterstützung“ bei der Errichtung des Fonds zu.

Mit den USA hat Kanzleramtsminister Bodo Hombach in den vergangenen Wochen schon erste Verhandlungen über ein entsprechendes Abkommen geführt. Eine Entscheidung steht noch aus.

Rechtssicherheit, so der Kanzler, sei die Voraussetzung für das Funktionieren des Fonds. Deutsche Firmen müßten „definitiv“ von Sammelklagen freigestellt werden. Es mache für die Unternehmen „keinen Sinn, zweimal zu zahlen“ – in den Fonds und an mögliche Einzelkläger. Wie eine solche Konstruktion Gerichte in den USA verpflichten könnte, Sammelklagen mit Hinweis auf den Fonds abzuweisen, wurde allerdings nicht deutlich.

Letztlich hilft nach Schröder diese Regelung auch den Opfern: Die Klagewege seien oft lang und die Kläger „nicht mehr die jüngsten“. Auch deswegen müsse rasch eine für alle Seiten akzeptable Lösung gefunden werden. Komme es auf bilateraler Ebene nicht zu einer Lösung, hätten die Betroffenen „Steine statt Brot“. Von Schröder war gestern nicht in Erfahrung zu bringen, wie hoch die Mindestzahlungen an die Zwangsarbeiter sein würden. Im Vorfeld war die Entschädigungssumme des VW- Werks, 10.000 DM, im Gespräch gewesen. Auch das Problem einer ungleichen Entschädigung zwischen Zwangsarbeitern aus Osteuropa und solchen, die heute in der westlichen Hemisphäre leben, bleibt bislang ungelöst. Dies seien, so Schröder, Details, die noch auf Expertenebene ausgearbeitet werden müßten.

Bis zum 1. September soll die Initiative nach einem Papier aus dem Kanzleramt wirksam werden. Zur finanziellen Ausstattung des Fonds wollte der Kanzler gestern nichts sagen. Bodo Hombach geht davon aus, daß weltweit zwischen 200.000 und 300.000 Menschen Entschädigungszahlungen aus dem Fonds beziehen könnten. Ob dies in Form von Einmalzahlungen oder als Rente geschehen soll, blieb offen.

Die Hilfe aus dem Fonds werde nicht an die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Nationalität gekoppelt sein. Damit sei sichergestellt, daß auch ehemalige Zwangsarbeiter, etwa aus Polen oder Tschechien, Ansprüche geltend machen könnten. In einer gemeinsamen Erklärung hieß es, die Unternehmen wollten „am Ende des Jahrhunderts“ ein abschließendes materielles Zeichen setzten. An dem Gespräch im Kanzleramt nahmen die Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen, BMW, Deutscher Bank, Bayer, Daimler, Chrysler, Hoechst, Allianz, Siemens, Krupp, Degussa, BASF und der Dresdner Bank teil.

Noch ist unklar, in welchem Verhältnis die beteiligten Firmen die Summe für den Fonds aufbringen werden und welche weiteren Firmen, die während der Nazizeit Zwangsarbeiter beschäftigten, ihm beitreten werden. Von einem Staatszuschuß war nicht die Rede. Thorsten Denkler