Berlinale-Anthropologie
: Party!

■ Das macht mißtrauisch: Der Unterschied von urban und provinziell im Falle des Fests

Mein schwarzer Hut! Beinahe ist er verschüttgegangen in dem Garderobendurcheinander – „das sieht man gern“, griente anzüglich Leroi, der Amerikaner, „wenn die Deutschen sich mal beim Organisieren vertun“.

Wie sich's gehört, gab man gleich nach dem Eintritt die Garderobe ab und bekam eine Nummer. Die Mäntel wurden auf bewegliche Stellagen gehängt, Hüte, Taschen, Schirme irgendwie in der Nähe verstaut. Aber allmählich begann die Garderobe den ganzen Eingang des Foyers zu überwuchern, und so wurden die Stellagen rechts in Nebenräume gerollt, die Hüte, Schirme etc. in Plastikkörbe gesteckt, links.

Wenn du also wieder in den Besitz deines Mantels versetzt warst, rechter Hand, umständlich genug, mußtest du dich linker Hand auf die Suche nach deinem Hut machen. Die Garderobenmenschen hatten aufgegeben; man ging selber auf Recherche. Und so fand ich ihn schließlich, meinen schwarzen, breitkrempigen Bedeutsamkeitshut, leicht verknautscht, unter anderen Hüten, neben Rucksäcken, Plastiktaschen, in einer lila Wanne. Der junge Mann, der den verzweifelt-beherrschten Garderobier machte, hätte ihn nie gefunden, denn das Nummernschild fehlte. Draußen schaute ich noch mal mißtrauisch nach, ob's wirklich der meine sei. Ja.

Unbedingt, hatte ich der Redakteurin W. in den Ohren gelegen, unbedingt müsse der Anthropologe mal auf eine Party. Daß die Party den geheimen, aber zentralen Schauplatz der Berlinale bildet, gehört doch zur Mythologie. Nur für eine Nacht und für unterderhand informierte Leute ist der Bunker in der Schumannstraße wieder geöffnet, Bruce Willis legt Nazischlager auf, und Nick Nolte singt in Damenunterwäsche, auf Erich Honeckers Schreibtisch gefläzt, „Davon geht die Welt nicht unter“, Hommage an Helmut Berger (o.s.ä.).

Die Party, zu welcher die Redakteurin W. mich mitnahm und wo ich fast meinen Chefhut einbüßte, fand also in diesem mehrstöckigen Kinotempel statt, in dem neuen kulturell- kommerziellen Zentrum der Berliner Republik, dessen Architektur (und überhaupt) systematisch zu loben ich mir zur Pflicht gemacht habe. Hier, erklärte eine leuchtende Funktionärsstimme über Lautsprecher, werde ja ab 2000 das Zentrum der Berlinale sein! Wo sonst, flüsterte Leroi, in diesem Tempel, umgeben von anderen Tempeln, auf dem funkelnagelneuen Tempelberg der Hauptstadt, die Zikkurat des neuen Deutschland. (Wenn Funktionäre reden, setzt beim Publikum automatisch Kritikzwang ein.)

Was soll ich erzählen von der Party? Daß sie der Mythologie nicht entspricht, versteht sich von selbst. Auch Sean Penn erschien nicht als DWT. Ein alternder Machodarsteller des alternden jungdeutschen Films, ein wirklich sehr, sehr niedliches Stück Jungmenschfleisch an der Hand haltend, das war schon alles. Ansonsten Klumpen in tadellosem Kulturschwarz, angeregt plaudernd, sowie großäugige Einzelpersonen, die meinen, alle kennen alle, nur sie kennen niemanden.

Gut eingeführt für die Klassifikation solcher Ereignisse ist der Code urban/provinziell. Von der Garderobengeschichte läßt sich auf Anhieb sagen, daß sie bei einem Metropolenereignis einfach nicht passieren darf, also: provinziell, und den entsprechenden Damen und Herren ist sicher tüchtig der Kopf gewaschen worden (um mich der älteren Angestelltensprache zu bedienen).

Unter „provinziell“ können wir auch die Sache mit dem Buffet verbuchen. Zu ihm war nur ein ausgewählter Kreis gebeten, der an den entsprechenden Durchgängen dank einem Extraticket den finster blickenden, tadellos kurzgeschorenen, guttrainierten Gorilla passieren durfte, mit dem Knopf im Ohr, den ich mir seit Clint Eastwood „In the Line of Fire“ als Gorilla- Accessoire gemerkt habe. Wir hier draußen erhielten Cracker mit versalzenem Käse und maschinengerollte Sushi-Happen. Die Anthropologen werden das schon erforscht haben, die Kommunikation via Buffet. Sie muß alle Anwesenden umfassen, sonst kriegt auch der innere Kreis Depressionen.

Schließlich, die „Vorführung“, zu der eine weibliche Lautsprecherstimme uns in den großen Kinosaal bat: ein Werbefilm, der die einladende Agentur als was ganz, ganz Tolles präsentierte, den Joker, mittels dessen die einheimische Filmindustrie im globalen Spiel jeden Stich macht. Dann durften wir den großen Kinosaal wieder verlassen ...

Aber wahrscheinlich fällt die Unterscheidung urban/provinziell mit der zwischen Wirklichkeit und Imagination zusammen. Den richtigen Glamour hat die Metropole, wie sie sich auf den Berlinale-Partys feiert, nur in der Imagination. In vivo sind alle Partys schäbig. Michael Rutschky

Foto: Auch vor drei Jahren kannten alle alle. Nur sie kannte niemanden.