„PKK-Anhänger sind zu allem bereit“

Kurden in Berlin fürchten nach der Festnahme des PKK-Chefs Öcalan, daß sich niemand mehr um ihre Belange kümmert. Türken reagieren gespalten, mit Freude oder Kritik an der eigenen Regierung. Viele erwarten neue Anschläge  ■ Von Dirk Hempel

Der etwa 20 Jahre alte kurdische Jugendliche Hakan ist enttäuscht, sauer und stolz. Enttäuscht über die Festnahme des PKK-Chefs Abdullah Öcalan. Sauer auf die Bundesregierung: „Deutschland ist schuld, daß dies passieren konnte“, meint Hakan. Er ist stolz darauf, ein Kurde zu sein, und das sei vor allem ein Verdienst des Kurdenführers Öcalan. „Vor Jahren hätte sich doch niemand getraut zu sagen, daß er Kurde ist. Heute aber haben wir ein großes Selbstbewußtsein.“

Daß der politische Kopf der PKK sich in der Gewalt der türkischen Sicherheitskräfte befindet, empfinden am Dienstag abend nicht nur die Anhänger des kurdischen Kampfes für einen eigenen Staat als Niederlage. Mit Interesse hat man seit November in der Berliner kurdischen Community die Bemühungen Öcalans verfolgt, den Konflikt auf die diplomatische Ebene zu hieven. Und nun kann man es kaum fassen, daß ausgerechnet das mit der Türkei verfeindete Griechenland die Verhaftung unterstützt haben soll. Ohne Gegenleistung hätte sich Athen dazu bestimmt nicht bereit erklärt.

Die meisten denken dabei an Zypern. Mohammed Yildirim beispielsweise. Der 47jährige wollte eigentlich in ein kurdisches Café gehen, aber viele haben in dieser Nacht geschlossen. „Aus Protest oder weil die Leute sowieso woanders unterwegs sind“, glaubt er. Auch wenn er selbst „sehr viel“ Kritik an der PKK und Öcalan habe, wie er mehrfach beteuert, gönnt Yildirim der Türkei den Erfolg von Nairobi nicht. Außerdem „muß man bei aller Kritik zugeben, daß Öcalan das Kurdistanproblem weltweit bekanntgemacht hat“. Aber nun werde er sicher zum Tode verurteilt, und „in Europa wird sich niemand mehr für die Situation der Kurden interessieren“.

Es sei denn, und davon scheinen an diesem Abend in Kreuzberg viele auszugehen, die Kurden wagen spektakuläre Aktionen gegen türkische Unternehmen. „Wenn PKK-Anhänger sich aus Protest selbst verbrennen, dann sind sie auch zu allem anderen bereit“, heißt es in vielen Cafeś. Fast überall hat man um 21 Uhr an den Bildschirmen die Ansprache des türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit verfolgt. Bis dahin habe er die Festnahme für eine Propagandalüge konservativer türkischer Medien gehalten, erklärt Hüsseyin Gülenyz, Inhaber des Cafés Öz Galata am Neuen Kreuzberger Zentrum. Gülenyz ist Türke, aber über den Erfolg der Regierung in Ankara freut er sich ganz und gar nicht. „Die Türkei geht mit gefangenen Oppositionellen nicht gerade zimperlich um, viele unserer Cafébesucher wissen das aus eigener Erfahrung.“ Nicht ohne Stolz erzählt der seit rund vier Jahren das Galata führende Mann, daß sein Café den faschistischen Grauen Wölfen schon lange ein Dorn im Auge ist. Von ihnen ist an diesem Abend viel die Rede in Kreuzberg. Die beiden Jugendlichen Safer und Gürol etwa finden die türkisch-nationalistische Gruppe gar nicht so schlecht: „Ohne die wäre die Macht der PKK hier schließlich noch viel größer.“ Sie freuen sich, daß Öcalan nun die Todesstrafe droht, doch wenn es nach Safer ginge, „müßte man die Hinrichtung dieses Terroristen dem Volk überlassen“.

Aggressive Töne bleiben aber die Ausnahme. Kurden und Türken leben in Berlin schließlich schon lange friedlich zusammen, und daran, so zeigt man sich im Lokal von Türkiyemspor Berlin an der Admiralstraße überzeugt, wird auch die Meldung der Öcalan- Festnahme nichts ändern. „Kurden, Türken und Aleviten“ kämen dort genauso zusammen wie „Kommunisten und Faschisten“.

Tatsächlich ist die Angst vor Anschlägen nicht besonders hoch. Die Besucher des Mittagsgebetes der türkischen Moschee Emir Sultan Camii sahen gestern morgen keinen Grund zur Beunruhigung. Und auch der Reisebüroinhaber Aydogan, der in seinem Büro nahe dem Sozialpalast an der Schöneberger Pallasstraße hauptsächlich Türkeireisen anbietet, gibt sich gelassen: „Vollmundige Drohungen gibt es immer wieder, aber man muß abwarten, was überhaupt dahintersteckt.“