Aufklärung verhindert Eskalation

■ Nach der Erschießung dreier Kurden bei der Besetzung des israelischen Konsulats mahnt der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, das Vertrauen dringend wiederherzustellen

taz: Nach bisherigem Informationsstand hat es gestern bei der Besetzung des israelischen Konsulats durch KurdInnen drei Tote gegeben. Erschossen von israelischen Sicherheitskräften. Stehen jetzt die Zeichen bei den KurdInnen in Berlin endgültig auf Sturm?

Christian Ströbele: Ich fürchte, daß das einen Tag nach der Besetzung des griechischen Konsulats ein erheblicher zusätzlicher Schub ist. Gestern sind dort einige, als sie hörten, daß Öcalan in der Türkei ist, völlig zusammengebrochen und waren ungeheuer besorgt. Wenn man weiß, wie in der Türkei politische Gefangene und vor allem die aus der PKK behandelt, also gefoltert werden, dann ist das nicht schwer zu verstehen. Wir haben deshalb gleich gesagt, daß unabhängige Anwälte und internationale Beobachter zu Öcalan gelassen werden müssen.

Sie haben engen Kontakt zu vielen KurdInnen und mit einigen bereits heute geredet – was denken Sie, wird jetzt passieren?

Ich kann und will gar keine Voraussagen machen. Ich fürchte nur, da jetzt zum ersten Mal in diesen Auseinandersetzungen offenbar Waffen eine Rolle gespielt haben – und zwar bei israelischem Wachpersonal –, daß möglicherweise nun auch auf kurdischer Seite Waffen auftauchen. Das wäre schrecklich.

Was kann denn die Spirale der Gewalt überhaupt noch anhalten?

Eine sofortige unabhängige Aufklärung der Ereignisse, damit nicht durch Gerüchte und Falschmeldungen von der einen oder von der anderen Seite gearbeitet werden kann. Eine Zusage einer solchen Aufklärung muß sofort kommen. Wenn dort – was ja klar zu vermuten ist – Fehler gemacht worden sind, dann muß das auch die normalen Konsequenzen strafrechtlicher Art haben.

Welche strafrechtlichen Konsequenzen können das denn sein? Die Schüsse sind ja nach derzeitigem Ermittlungsstand auf dem Konsulatsgelände gefallen.

Rechtlich ist die Hoheit der Bundesrepublik nicht gegeben, das bedeutet aber doch nicht, daß auf diesem Gelände jeglicher Waffengebrauch ohne Konsequenzen bleibt. Da sind drei Menschen erschossen worden.

Man muß nun mit der israelischen Regierung, die die Hoheit auf dem Gelände hat, klären, daß das möglichst schnell und rücksichtslos aufgeklärt wird – auch in ihrem eigenen Interesse.

Sind auch diplomatische Verwicklungen zu erwarten?

Möglicherweise. Natürlich muß die Gastregierung Fragen stellen: Wie kann so etwas passieren, was ist geschenen? Noch wissen wir nicht genau, ob es eine Notwehrsituation gegeben hat, ob übereilt gehandelt wurde. Alle Geschichten, die derzeit über die Medien laufen, tragen zur Emotionalisierung bei: Welche Haltung die Türkei an den Tag legt, wie Öcalan behandelt wird. Wenn man dann noch hört, daß möglicherweise Geheimdienste bei der Entführung Öcalans beteiligt gewesen sind, und sieht, wie zurückhaltend sich die USA in der Frage der türkischen Kurdenpolitik verhält – dann spielt Weltpolitik an solch einem Tag eine sehr große Rolle. Jetzt kann man nur längst Angekündigtes endlich umsetzen: Die internationale Gemeinschaft muß sich des Kurdenproblems und der Angriffe der Türkei auf die KurdInnen ähnlich intensiv annehmen, wie es im ehemaligen Jugoslawien der Fall ist.

Hätten die KurdInnen damit rechnen können oder müssen, daß bei einer Besetzung der israelischen Vertretung etwas Derartiges passiert?

Sicherlich sind bei einer israelischen Botschaft – das sieht man ja schon bei einem zufälligen Blick auf die Vertretungen – ganz andere Sicherheitsvorkehrungen getroffen als etwa bei einer griechischen Vertretung. Daß also sehr viel größere Probleme entstehen können, mußte, denke ich, allen klar sein. Ob man mit einem Schußwaffengebrauch rechnen muß, das ist allerdings eine ganz andere Frage.

Warum ist die Situation dann so eskaliert?

Nach meinen gestrigen Erfahrungen vor dem griechischen Konsulat, als beide Seiten – Demonstranten wie Polizei alles versucht haben, um die Situation ruhig zu halten – verstehe ich überhaupt nicht, wie es dazu kommen konnte. Die Leute, mit denen wir gestern geredet haben, haben ernsthafte Gefährung von Personen, Gewalt gegen Personen nicht nur ausgeschlossen, sondern aktiv verhindert. Die Demonstranten haben ihre Zusagen ja eingehalten und sind friedlich nach Hause gezogen.

Aber beide Seiten haben erstaunlicherweise gerade in Berlin das Verdienst, Gewalt vermieden zu haben. Auch die Polizei hat ihre Zusagen gehalten und die Protestierenden ohne Kontrolle abziehen lassen. Gerade deshalb hatte ich ja die Hoffnung, nachdem die Protestierer gesehen haben, man kann sich auf die Zusagen der Polizei verlassen, das das zur Beruhigung der Situation in der Stadt beiträgt. Und nun heute das...

Gibt es jenseits der internationalen Diplomatie jetzt noch eine Chance, in Berlin etwas zu tun?

Man muß versuchen, das am Dienstag um 21 Uhr bestehende Vertrauen der Kurden wiederherzustellen. Das wird aber wahnsinnige schwer. Interview: Barbara Junge