Neue Kredite nur gegen Reformen

Beim Besuch in Moskau zeigt die EU-Spitze ihre Unzufriedenheit mit den langsamen Reformen. Sie will wissen, wozu die Finanzhilfen eingesetzt werden  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Neue Kredite werde es vorerst nicht geben. Daran hatte Deutschlands Botschafter in Moskau schon im Vorfeld des gestern und heute tagenden Doppelgipfels zwischen der EU, Rußland und Deutschland in der russischen Hauptstadt keine Zweifel aufkommen lassen. Woher wolle, wer alte Schulden nicht begleichen könne, Geld nehmen, um neue Kredite zu bedienen?, fragte Diplomat von Studnitz. Die russischen Altschulden gegenüber Deutschland betragen 6,5 Milliarden Mark.

Dennoch hat Moskau die Hoffnungen auf Finanzspritzen nicht aufgesteckt. Man hofft auf die Zeit und die Angst, die den Westen aus Erwägungen zur politischen Stabilität am Ende doch zahlen lassen werden, um Rußlands Insolvenz und Unruhe unter den internationalen Gläubigern zu vermeiden.

Nach außen betonten die EU- Führung und ein gesund und kräftig auftretender Boris Jelzin den Willen zur Zusammenarbeit. „Rußland ist für die EU der wichtigste Partner“, sagte Bundeskanzler Schröder. Man sei zu einer „strategischen Zusammenarbeit verpflichtet“. Beim Streit um die Lebensmittelhilfe der EU zeichne sich eine Lösung ab, hieß es. Vor allem verkündete der EU-Botschafter in Moskau, Ottokar Hahn, die EU wolle sich bei der Umstrukturierung der Banken mit Kapital beteiligen.

Intern schlug die deutsche Seite allerdings Töne hart an der Grenze des diplomatisch Vertretbaren an, wie die deutsch-russischen Beziehungen sie im letzten Jahrzehnt nicht mehr gekannt hatten. Zur Disposition steht demnach auch die Vorfinanzierung des Handels mit Deutschland und der EU, solange sich Moskau nicht verbindlich äußert, wie es Finanzhilfen einzusetzen gedenkt. Die deutsche Seite wagte auch die Frage, wo eigentlich die staatlichen Einnahmen aus dem Rohstoffhandel verbucht würden. Der kaum verschleierte Korruptionsvorwurf trifft Moskau an einer sensiblen Stelle. Just im Vorfeld des Gipfels hatte die russische Generalstaatsanwaltschaft einen neuen Finanzskandal ans Licht befördert. Seit 1992 soll die russische Zentralbank Gelder aus westlichen Krediten an eine lichtscheue Firma (Fimaco) auf die Kanalinsel Jersey überwiesen haben, um die Währungsreserven vor dem Zugriff westlicher Kreditgeber zu schützen. Darauf wurde Generalstaatsanwalt Skuratow aufs Altenteil geschickt.

Gerhard Schröder und EU Präsident Santer erwarten von Premierminister Jewgenij Primakow Einblicke in die mittelfristigen Zielsetzungen seiner Politik. „Bisher ist es dem Westen nicht gelungen, die Linie zu verstehen“, hieß es dazu aus diplomatischen Kreisen. Viel Erhellendes kann der Premier den Gästen indes nicht bieten. Ein Antikrisenprogramm liegt auch ein halbes Jahr nach Ausbruch der Augustkrise nicht vor. Zwar ist es dem Premier gelungen, die politischen Gegenspieler ruhigzustellen. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat sich unterdessen nichts bewegt. Um den Status quo zu erhalten, überwacht und verwaltet Primakow einen Stillstand, der das Land längerfristig ökonomisch weiter in die Krise treibt.

Die EU-Emissäre demonstrieren guten Willen, Rußland nicht abzuschreiben. Die westlichen Anliegen, die Verbesserung des Investitionsklimas, strikte Antikrisenmaßnahmen, Haushaltsdisziplin sowie eine saubere und zügige Restrukturierung des Bankensystems, dürften kaum befriedigt werden.

Dennoch sieht EU-Botschafter Hahn eine gestiegene Bereitschaft Rußlands zur Kooperation mit der EU. Ende 1997 hatten Moskau und Brüssel ein Kooperations- und Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, das der Kreml allerdings eher als eine Pflichtveranstaltung begreift. Im Verhältnis zu Europa offenbarte sich die Ratlosigkeit Moskaus, ob es ein Teil Europas sei oder etwas Eigenständiges darstelle.

Die für eine eigenständige Rolle plädierenden Kräfte haben im Zuge der halbherzigen Reformen deutlich an Gewicht gewonnen. Auch sie widersetzen sich nicht einer Annäherung, doch sie wollen die EU-Strukturen instrumentalisieren und wenn möglich neutralisieren. Ein Europa der Kleinstaaten paßt diesen Kreisen, die in geopolitischen Kategorien des 19. Jahrhunderts denken, besser ins Konzept.

Auf der EU-Agenda stehen auch die geplante Ausweitung der Kooperation in der Atom- und Umweltpolitik und nicht zuletzt der sensible Komplex der EU- Osterweiterung. Anfangs hatte der Kreml gegen die Erweiterung der EU – anders als bei der Nato – nichts einzuwenden. Inzwischen regen sich auch hier Bedenken. Die europäischen Auflagen drohen nicht nur den Handel mit den Osteuropäern zu erschweren, auch der visafreie Verkehr mit den Nachbarn könnte auf Drängen Brüssels eingestellt werden: Als ob die EU im Osten eine neue Mauer errichten wollte.