■ Die Wirklichkeit in den Betrieben Ostdeutschlands ist anders

Berlin (taz) – Verfallene Industrieanlagen haben ihren eigenen Charme – aus der touristischen Perspektive. Für Walter Teffel, Betriebsratschef der Niles Werkzeugmaschinen-Fabrik in Berlin ist das marode Firmengelände dagegen ein Quell ständigen Mißmuts. Ein großer Teil der roten Ziegelbauten steht leer, weil statt 2.500 Beschäftigten zu DDR-Zeiten heute nur noch 106 Leute im Unternehmen arbeiten. Trotzdem werden einige der ungenutzten Hallen mitgeheizt, die Versorgung ist für das ganze Gelände ausgelegt. Das Ergebnis: zu hohe Kosten, rote Zahlen in der Bilanz.

Für den Umzug in einen Neubau will der Niles-Eigentümer, die Coburger Kapp GmbH, 20 Millionen Mark investieren. Um das zu ermöglichen, haben Betriebsrat und Vorstand eine Spezialvereinbarung abgeschlossen, die geringere Lohnsteigerungen vorsieht als im Flächentarifvertrag vereinbart. Der Betriebsrat hat deshalb nicht nur Ärger mit der Gewerkschaft IG Metall.

Niles ist ein Beispiel für die ostdeutsche Arbeitswirklichkeit. Denn ähnlich wie die Beschäftigten des Maschinenbauers akzeptieren viele Belegschaften in den östlichen Bundesländern die untertarifliche Bezahlung, um ihre Arbeitsplätze zu retten. „Die Auftragslage ist in den letzten zwei Jahren nicht sprunghaft gestiegen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen“, sagt Betriebsrat Teffel.

Was der Vertreter der Beschäftigten anerkennt, hat der Unternehmer vorexerziert. Niles ist nicht Mitglied der Arbeitgeberverbände – zwischen einem Drittel und der Hälfte der Firmen in Ostdeutschland handhaben das genauso. Dies ist der wesentliche Grund, warum der Unternehmerverband Ostmetall gestern noch erwog, den baden- württembergischen Schlichterspruch nicht zu übernehmen.

Die IG Metall-Leitung in Berlin hat sich mit dem Sonderweg der Maschinenbauer nie abgefunden. Sie verweigerte ihre Zustimmung zum Haustarif, weil die Gehaltserhöhungen des Flächentarifs bei Niles immer ein Jahr später wirksam werden. Betriebsrat Teffel zuckt mit den Schultern: „Wir haben das eben in den individuellen Arbeitsverträgen geregelt.“ Hannes Koch