Öcalan kippt griechische Minister

Nach der Festnahme des PKK-Chefs werden drei Kabinettsmitglieder in Athen entlassen. Doch das wahre Problem liegt in einer Verselbständigung des Geheimdienstes  ■ Von Niels Kadritzke

Berlin (taz) – Die Flutwelle der Öcalan-Krise hat die griechische Regierung voll erwischt. Ministerpräsident Costas Simitis hat alle Minister entlassen, die für die Dienste verantwortlich sind, denen er die Verwicklung Athens in die Fluchtgeschichte des PKK-Führers anlastet: Außenminister Theodoros Pangalos und die für Polizei und Geheimdienste zuständigen Minister Philippos Petselnikos und Alexandros Papadopoulos. Ob damit der Schaden zu begrenzen ist, bleibt abzuwarten. Zunächst bestärken die Entlassungen nur den Eindruck, daß Simitis in einer gravierenden Staatsaffäre nicht Herr der Lage, ja nicht einmal Herr der Informationen war.

In Athen zirkulieren kleine Gerüchte und große Theorien. Ein Fernsehsender präsentiert einen Agenten des Geheimdienstes EYP, der behauptet, die griechische Seite habe aktiv an der Festnahme Öcalans in Nairobi mitgewirkt. Die Mittäterthese entbehrt freilich der Brisanz, wenn man sich klarmacht, daß schon die Verfrachtung Öcalans nach Nairobi ein Himmelfahrtskommando war. Daß die CIA unter den Geheimdiensten in Kenia der Platzhirsch ist, mußte selbst der unfähige EYP wissen. Öcalan unter den Augen der CIA in der Botschaft von Nairobi zu parken, war eine kalkulierte oder bornierte, in jedem Fall aber fatale Entscheidung.

Viel explosiver ist daher die Frage, wie Öcalan überhaupt auf griechischen Boden gelangte? Pangalos hat nach seinem Rücktritt diejenigen des Verrats bezichtigt, die Öcalan „ins Land gebracht“ haben. Gemeint sind Geheimdienstkreise, die Öcalan zu einer „Notlandung“ in Griechenland ermuntert oder gar verführt haben sollen. Dabei handelt es sich offenbar um EYP-Seilschaften, deren Sympathien für den türkischen Staatsfeind Nummer eins mehr als nur platonisch waren. Und die den Simitis-Gegnern innerhalb der Regierungspartei PASOK stets beflissener zu Diensten sind als ihrem verfassungsmäßigen Dienstherrn.

Wie ernst die Lage für die Regierung ist, zeigt eine Erklärung von Vizeaußenminister Giorgos Papandreou, der von der Krise in Athen in Bonn überrascht wurde. Der Sohn des PASOK-Gründers, von Simitis-Gegnern oft als „Türkenfreund“ abgestempelt, attackiert den „Schattenstaat“ (parakratos), der strikter demokratischer Kontrolle unterworfen werden müsse. Als politische Konsequenz aus dem Fall Öcalan fordert der für EU-Angelegenheiten zuständige Papandreou ein gesamteuropäisches Konzept. Die EU solle Ankara klarmachen, daß das Kurdenproblem mit einem Schauprozeß keineswegs erledigt ist.

Mit dem Verweis auf den europäischen Kontext ist eine Kritik an der Geheimstrategie im Fall Öcalan ausgesprochen. Für die Regierung Simitis konnte es in der Tat nur eine rationale Antwort auf das Problem geben, das ihr – offenbar durch den eigenen Geheimdienst – vor die Tür gelegt wurde. Man hätte sofort die EU-Partner unterrichten und eine partnerschaftliche Lösung einklagen müssen. Allerdings wäre Griechenland wohl genauso im Stich gelassen worden wie Italien. So gesehen hat die verhängnisvolle Entscheidung Athens, Öcalan nach Nairobi zu schicken, erneut das Defizit an europäischer Solidarität offenbart.