Kommentar
: Terrorismus und ziviler Widerstand

■ In der Diskussion um die PKK tut Differenzierung not

Jetzt also die vollständig hemmungslose Beschwörung des Krieges auf deutschem Boden. Jetzt das Schreckensbild einer bis an die Zähne bewaffneten Terrortruppe namens PKK in Divisionsstärke, die bereitsteht, unser Land ins Chaos zu stürzen. Kein Zweifel mehr: Europa steht im Zentrum des kurdischen Angriffs, Deutschland aber – Hilfe! Erbarmen! – steht im Zentrum dieses Zentrums. Und deshalb: „Weg mit den Samthandschuhen“!

Diesem Orkan der Hysterie droht jede politische Differenzierung zum Opfer zu fallen. Läge es nicht nahe, anläßlich der PKK-Aktionen der letzten Tage an einen kleinen Unterschied zu erinnern? Nämlich den zwischen Aktionen des zivilen Ungehorsams, bei denen Gesetze übertreten werden, um auf ein als schreiend empfundenes Unrecht hinzuweisen, und kaltblütig kalkulierten Gesetzesbrüchen, bei den Menschen zwecks Produktion von Märtyrern der Todesgefahr ausgesetzt werden?

Ziviler Ungehorsam bejaht den Rechtsstaat, indem er ihn verletzt. Er schreckt davor zurück, Leben und Gesundheit der Gegner wie der eigenen Leute zu gefährden. Die terroristische Aktion aber definiert sich geradezu durch diese Grenzüberschreitung.

Ist es nicht so, daß die Botschaftsbesetzungen der letzten Tage hin und her gerissen sind zwischen diesen beiden Positionen? Ganz bestimmt handelten diejenigen in verbrecherischer Verantwortungslosigkeit, die im PKK-Milieu die Idee lancierten, eine diplomatische Vertretung Israels zu besetzen. Seit den Tagen der Olympiade in München weiß man, daß die israelischen Sicherheitsleute – und das aus verständlichen Gründen – sich auf keinerlei Risiko einlassen. Aber gilt dieses Verdikt gegenüber den Planern der Aktion auch für all diejenigen, die sich an der Besetzung mit schrecklichem Ausgang beteiligten? Sind sie nicht Produkt zweier politischer Kulturen: der der Verzweiflung im Land ihrer Väter und der des demokratischen Widerstandes, der das Gesicht der Bundesrepublik geprägt hat?

Deshalb ist für die demokratischen Linken nicht Entsetzen angesagt, sondern Einmischung. Unterstützung für den Kampf der Kurden um Menschenrechte, um politische Autonomie in der Türkei, um freie politische Meinungsäußerung bei uns. Und erbitterter Kampf gegen die Menschenverheizer. Wer in der PKK das Sagen hat, liegt auch an uns! Christian Semler