Reise durchs eigene Niemandsland

Bilder laufen, Inhalte stehen: Stefan Puchers „Comeback“ im Malersaal  ■ Von Christiane Kühl

Haben Sie schon einmal einen Bruder Grimm gesehen? Ist möglich, aber unwahrscheinlich. Die Grimms blicken heute mit toten Augen von 1000-Mark-Scheinen. Waren sie einst in jeder deutschen Stube daheim, liegen sie nun in der Deutschen Bank. Und das hat seine Richtigkeit: Alle Märchen beginnen zu Hause.

Heimat sind dicke Mauern, aus denen man nicht herausschauen kann, sagt Stefan Pucher. Für Comeback, den zweiten Teil seiner Trilogie über Gegenwartsbetrachtungen, der am Donnerstag im Malersaal uraufgeführt wurde, hat er Märchen und moderne Mythen als Blickfilter gewählt. Ihre Verbindung zum Theater beschreibt er als topographische Koinzidenz: Weltferne. So wie der König im Schloß vom Leben abgeschlossen sei und nur über Boten vom Geschehen im Land erfährt, sei auch das Theater in erster Linie ein Raum mit dicken Mauern ohne Fenster. Sie herauszuschlagen, sei sein Wollen als Regisseur.

Natürlich tut er das nicht. Naturalismus ist dem 33jährigen Gießener fremd. Statt den Blick auf die Welt draußen freizumachen, zwängt er sie in den Raum hinein. In all ihren Erscheinungen, was vor allem Zweit- und Drittverwertungen bedeutet. Die Bühne von Gesine Völlm ist nicht in die Tiefe, sondern in die Breite angelegt und nutzt ihr Cinemascope-Format für fast ständige Videoprojektionen. Torge Möller hat Western an Staubsaugerwerbung an Schlachthofarbeit geschnitten, die auf drei Flächen nebeneinander mit leichter Zeitversetzung in Schleifen gebeamt werden. Unterbrochen werden die bewegten Bilder von stillen Lettern: „Etwas besseres als den Tod findest du überall“, steht da wie ein Ratschlag für die Reise durchs eigene Leben, das dem Besitzer längst fremdes Niemandsland ist. Die amerikanische Choreographin Meg Stuart hat die Entfremdung in eine Körpersprache von marionettenhafter Disziplin und spastischem Ausbruch übersetzt.

Fünf Schauspieler werden mit einem Laufband auf die Bühne gefahren und marschieren fortan wie romantische Nußknacker, ohne von der Stelle zu kommen. Die Bilder laufen, aber die Inhalte bleiben stehen. Seitlich der Bühne sind kleine Einbauküchen in der Chromverschalung amerikanischer Campingwagen der 40er installiert, in der sich junge blasse Menschen mit rotgeränderten Augen wie Barbiepuppen bewegen. Die Sehnsucht nach Fortkommen ist eins der wenigen angedeuteten Themen des Abends; mit Kafka fortkommen von der Familie, mit Warhol fortkommen von der Gesellschaft, mit Ecstasy fortkommen von der Langeweile. Aber die repetitiven filmischen Wunschbilder implizieren, daß es kein rettendes Gegenstück zur eigenen Hohlheit gibt. Wenn der Tagesschausprecher Jo Brauner und der Märchenonkel Hans Paetsch parallel dieselben Versatzstücke lächeln, muß man sich im Universum semantischer Nullreferenz wähnen.

Die Inszenierung schneidet scheinbar wahllos Texte und Bilder aneinander, zusammengehalten von einem grandios komponierten Soundtrack, der Erkennungsmelodien, Telefonklingeln, Wiehern, Pop und Spieluhren mischt. Die Akteure sind bisweilen zu seiner Livebebilderung abgestellt. Vielen Premierenbesuchern war das zuwenig, wie der schwache Applaus bewies. Für Menschen mit häuslicher Veranlagung zur Halluzination jedoch lassen die Traumbilder von Comeback in den stärksten Momenten den Raum rhythmisch schrumpfen, um dann in groovigen Wellen wieder aufzugehen.