Lebenszeichen aus Ruß und Tinte

Eine Stunde Hofgang, ansonsten Zellen, Gitter und endlose Gänge auf drei Etagen: Im Untersuchungsknast Holstenglacis wird die Aufsichtskapsel zum Nabel einer eigenen Welt  ■ Von Elke Spanner

Schon am Eingang ist die Luft dick. Die Decke hängt nur knapp über den Köpfen, und der Raum, der nicht vom gläsernen Aufsichtszimmer eingenommen wird, ist mit Schließfächern vollgestellt. Die beiden kleinen Bilder in dem Gang, der zum Besuchsraum führt, sind nicht mehr als blaß-bunte Flecken auf der vergilbten Wand.

Dies ist der Bereich, den zu sehen bekommt, wer einen Gefangenen im Hamburger Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis besucht. Auch Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) wird hier hereingeführt, zu Beginn ihrer gestrigen Gefängnis-Besichtigung. Und die Presse, die zum ersten Mal in die Anstalt darf.

Die Insassen werden über die unterirdische „Zuführstation“ ins Innere der labyrinthartigen Anlage gebracht. Zwischen 12.000 und 14.000 Menschen werden hier pro Jahr von der Polizei abgeliefert – Frauen und Männer, die einer Straftat verdächtig sind und hier auf ihren Prozeß warten sollen, verurteilte StraftäterInnen und Abschiebegefangene, die nichts getan haben, als in ein Land einzureisen, in dem sie nicht erwünscht sind.

Ihr erster Aufenthaltsort ist ein hölzerner Stuhl direkt links hinter der schweren Eisentür zur „Zuführungsabteilung“. Dem Stuhl gegenüber ist eine Sofortbildkamera auf einem Stativ postiert. Alle Gefangenen werden hier sofort abgelichtet. Anstaltsleiter Robert Mündelein begründet das mit den vielen ausländischen Insassen, die man so leicht verwechseln würde, wenn man sie nicht anhand eines Fotos identifizieren könnte.

Wer verewigt wurde, geht durch die Sicherheitsschleuse und wird gründlich nach gefährlichen Gegenständen durchsucht. Während dann die Papiere geprüft werden und der Insasse formell registriert wird, wartet er in der sogenannten „Kachelküche“ darauf, dem Haftrichter vorgeführt zu werden und schließlich in einer Zelle zu landen.

Bis zu 45 Menschen warten hier teilweise zusammen auf ihre Abfertigung. Auf rund 20 Quadratmetern, unterirdisch, in einem weiß gekachelten Raum, in dem nichts außer einem darin eingelassenen Tisch steht. Die beiden Fenster erlauben keinen Blick nach außen, denn vor ihnen hängen rostige Metall-Jalousien; Schmierereien übersäen Decke und Wände. „Angelika, spurlos bist du“, steht an der rechten Wand.

Kritzeleien sind am Holstenglacis die einzigen sichtbaren Lebensäußerungen der Insassen. Keine Zelle ohne Sprüche an der Wand, mal geschrieben, mal mit dem Feuerzeug gerußt. Zeichnungen, vor allem Totenköpfe, haben Konjunktur. Herzen mit Namen darin. Nur an diesen Spuren ist zu erkennen, wie viele Menschen hier leben müssen. Die Flure liegen wie ausgestorben da. Sichtbar sind allein die VollzugsbeamtInnen, blau uniformiert, in gläsernen Aufsichtsräumen an Anfang und Ende eines jedes Flurs.

Von dem regen Treiben auf den Gängen, wie es in den anderen Hamburger Gefängnissen zu sehen ist, ist am Holstenglacis keine Spur. Denn während die Gefangenen in der Strafhaft sich zumindest tagsüber vor ihren Zellen bewegen können, sind sie im Untersuchungsgefängnis 23 Stunden am Tag eingeschlossen – in einem Raum von etwa acht Quadratmetern, den sie laut Strafvollzugsgesetz allein bewohnen sollten, wegen der Überbelegung aber oft zu zweit nutzen müssen. Ein Zimmer, in dem nicht mehr steht als das stählerne Bett, ein uraltes Kiefernschränkchen und ein Tisch. Oberlichter geben den Blick auf die gegenüberliegende Fassade frei, wenn man zuvor auf einen Stuhl steigt. Fenster in Augenhöhe gibt es nicht.

Nur zum Essen, Duschen und für Arztbesuche dürfen die Insassen ihre Zellen verlassen. Und zum Hofgang. Eine Stunde am Tag. Schichtweise nach Stationen. Es regnet in Strömen, aber das ist kein Hindernis, wenn man nur eine Stunde Zeit hat. Die Gefangenen haben Schals um den Kopf gewickelt, Handtücher, Kapuzen. Monoton drehen sie ihre Runden, immer im Kreis, alleine, zu zweit oder zu dritt, alle im gleichen Tempo, noch eine Runde und noch eine. „Sie müssen nicht im Kreis laufen“, betont Anstaltsleiter Mündelein mit Blick auf die triste Szene.

Eine meterhohe Mauer schirmt den schmalen Grünstreifen am Holstenglacis vom Gefängnis ab. Jeder Schritt der Gefangenen wird bewacht. Von einem Wärter im Hof, der als einziger gegen den Strom läuft. Und von seinen KollegInnen, die aus zwei Wachtürmen das Geschehen im Auge behalten.

Das Ziel, von möglichst zentralen Orten aus die gesamte Anstalt einsehen zu können, lag dem Konzept zugrunde, als der Knast vor über einhundert Jahren gebaut wurde. Wie damals üblich, wählte man die „panoptische Bauweise“: Von einem Aufsichtszentrum aus sollte der gesamte Haft- und Unterbringungsbereich einzusehen sein. Zwar sind einzelne Bereiche des Gefängnisses längst umgebaut; doch noch immer gibt es ein solches Wachzentrum. Wie in einem Spinnennetz die Fäden, laufen am Holstenglacis die Flure an einem Punkt zusammen. Zwischen den Gängen klemmt dort, in der Mitte, ein Glaskasten als Aufsichtsraum. Drei Stockwerke werden von hier eingesehen. Auf drei Etagen endlose Flure nach links, endlose Flure nach rechts. Der Blick wird nur von den stählernen Gittertüren aufgehalten, die alle paar Meter die einzelnen Stationen voneinander abtrennen. Zwischendecken, die die einzelnen Stockwerke trennen, gibt es nicht. Statt dessen hängen hier Netze, um zu verhindern, daß sich jemand von ganz oben nach unten stürzt.

Dieser Aufsichtsbereich ist der Nabel einer ganz eigenen Welt. Das Eigenleben der Anstalt scheint von dem außerhalb der Mauern abgekoppelt zu sein. Wer Drogen konsumiert, macht am Holstenglacis zwangsweise einen Entzug. Und wer sich in einer „psychischen Ausnahmesituation“ befindet, kommt nicht in psychologische Behandlung, sondern auf die Beobachtungsstation.

Verlassen können die Gefangenen das Gebäude nur zu ihrem Prozeß. Doch selbst auf dem kurzen Weg ins benachbarte Gerichtsgebäude geraten sie nicht in Kontakt mit der Außenwelt. Unterirdische Gänge führen direkt vom Gefängnis aus in einzelne Säle des Gerichts hinauf.

Selbst wer krank wird, verläßt die Anstalt nicht. Auf dem Gelände der Haftanstalt Holstenglacis befindet sich das zentrale Krankenhaus der Hamburger Gefängnisse (ZKH). Für 63 PatientInnen ist hier Platz, hinzu kommt eine Ambulanz. Nur wer eine zu komplizierte Erkrankung hat, wird ausnahmsweise in eine externe Klinik eingewiesen, dort aber rund um die Uhr von BeamtInnen des Holstenglacis überwacht. Sonst werden alle Gefangenen im ZKH behandelt.

Der Altbauteil des Knast-Krankenhauses wurde beim Bau des Gefängnisses zunächst als „Haftanstalt für Bettler und Vagabunden“ errichtet. Mittlerweile ist das ZKH der modernste Trakt des Knastes. Neu riecht es hier. Graues Linoleum liegt auf dem Boden, die Wände sind weiß gestrichen. Es ist so hell, daß einem die Zellentrakte doppelt düster erscheinen. Im ZKH sind die Flure nicht durch Gitter unterteilt, sondern durch weiße Stahltüren mit Glas darin. Selbst einen Operationssaal gibt es. Auf den Gängen ist es sauber und steril wie in jedem anderen Krankenhaus. Aber totenstill. Die PatientInnen sind in ihren Bettenräumen eingeschlossen. Die KrankenpflegerInnen tragen Universalschlüssel an langen Ketten am Hosenbund.

Sämtliche 12.000 bis 14.000 Gefangenen werden bei ihrer Aufnahme in der Ambulanz untersucht, „Zugangsuntersuchung“ nennt sich das. „Wir prüfen den Gesundheitsstatus, ob jemand einer Risikogruppe angehört oder eine Infektion hat“, erläutert der Leiter des Krankenpflegedienstes, Lothar Bendorf. Untersucht werden der Urin und das Blut. Auch auf HIV. Im anstaltseigenen Labor.

Überflüssig, es noch in Worte zu fassen, aber Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) betont: „Mit einem Hotel- oder Erlebnisvollzug hat ein Aufenthalt hier nichts zu tun.“ Vor ihr lockt wieder die Stahltür, an der der Rundgang seinen Anfang nahm. Luft.