Eichen, Söhne, Feinde und Küchen

■ „Heinz-Uwe, ich will eine Küche!“ / Zen oder die Kunst, Möbel Flamme zu überleben

Der Tag, an dem Ilse explodierte, war ein sonniger Tag. Wir saßen auf unserem Sofa, nebeneinander, und hatten uns eben noch, wie es in langgeübten Partnerschaften halt zugeht, völlig synchron bewegt und insgesamt harmonisch miteinander geredet. Plötzlich hatte sich Ilse unwirsch aufgerichtet, den Mund aufgerissen und angefangen zu schreien. „Seit zehn Jahren leben wir in dieser Bretterbude, in diesem selbstgebastelten Provisorium. Sitzen auf einem durchgesessenen Sofa, dessen Farben verschossen sind und das ich mich schämen würde, auf den Müll zu geben. Überall IKEA-Kellerregale, notdürftig zusammengeschraubte Doityourself-Möbel und Sperrmüll, den andere vor 20 Jahren aus gutem Grund weggeschmissen haben. Alle anderen Männer, die ich kenne, schenken ihren Frauen Möbel. Du hast mir noch nie Möbel geschenkt. HEINZ-UWE, ICH WILL EINE KÜCHE!“

Ich dachte natürlich zuerst, klar, Heinz-Uwe, kennst du. Hormone, prämenstruelles Syndom, diese Geschichte. Doch das Thema war auch nach ihren Tagen nicht vom Tisch. Im Gegenteil, es wurde immer schlimmer. Ilse begann, an den Küchenstühlen rumzumeckern, die ich jüngst erst (vor etwa sieben Jahren) mit diesem subtilen Mattschwarz angestrichen hatte. Sie behauptete, Mehlwürmer in unserem seinerzeit so mühsam abgebeizten 50er-Jahre-Küchenschrank gefunden zu haben. Wenn ich mir abends ein Spiegeleichen briet, trat sie ostentativ gegen meinen heißgeliebten, mit ca. 500 Spaxschrauben zusammengebauten Küchenblock. Hatte Ilse, fragte ich mich langsam, einen Knall? Oder ich?

Eskalierend wirkte mein Einwand, daß sich Ilse doch niemals oder zumindest nicht freiwillig in unsere Küche verirrte. Sie könnte zur Not drei Jahre lang von Käsestullen leben. Wenn hier einer kocht, dann ich. Sie aber kreischte nur: „Alle Frauen, die ich kenne, haben eine Küche, ALLE. Wenigstens aber eine Geschirrspülmaschine. Wir haben nicht mal eine Geschirrspülmaschine! Ich leide jeden Tag, wenn ich auf diesen Müllhaufen blicke. Du hast überhaupt keinen Blick für Ästhetik.“ Ich schlug zurück, das Einrichten einer Wohnung mit sauteuren Möbeln sei krankhaft und regressiv, Geld solle man für Urlaube ausgeben und schöne Fahrräder und Unternehmungen. Ilse warf mir daraufhin vor, ein erbärmlicher Geizkragen zu sein, der seiner Frau nichts gönne. Ich konterte: „Wer das Geld verdient, darf ja wenigstens mitentscheiden, zu welchem Fenster es rausgeworfen wird.“ An dem Punkt ging Ilse ins Bett.

Wir sprachen drei Tage lang nicht miteinander. Ich rief alle meine Freunde an. Alle hatten ihrer Frau eine Küche gekauft. „Hab' dich nicht so,“ sagten sie, „kauf' ihr eine Küche. Frauen brauchen sowas eben.“ Ich fragte, was man anlegen müsse. „Zwischen 2.000 und 10.000 Mark mußt du rechnen,“ sagten meine Freunde, „aber wie wir Ilse kennen: eher 10.000.“ Ich rechnete die Zahl in Arbeitstage um und öffnete zwei Flaschen Rotwein.

In den darauffolgenden schlaflosen Nächten – ich hatte auf das durchgesessene Sofa ausweichen müssen – stiegen Bilder in mir auf. Bilder von Männern, die Eichen pflanzen, Söhne zeugen, Feinde besiegen und – ihren Frauen Küchen kaufen. Und etwas seltsames geschah: Mir wurde bei solchen Vorstellungen warm ums Herz. Ein Mann werden! Erwachsen werden! Ein langer harter Weg – aber dies war zweifellos eine ganz wichtige Schwelle. Wie kleinkariert, ans Geld zu denken! Du, Heinz-Uwe, bist der Mann, der seiner Frau eine Küche kauft. Und zwar nicht die billigste!

Ilse konnte wieder lachen. Ilse bestellte Kataloge. Ilse studierte sämtliche zurückliegenden Ausgaben von Schöner Wohnen der letzten drei Jahre. Ilse zeichnete Grund risse unserer Wohnung und schob winzige Pappquadrate übers Papier. Ilse bestand darauf, daß ich mir Kataloge anschaue. Ilse verlangte, daß ich Schöner Wohnen nicht nur studiere, sondern auch interessant finde. Ilse nahm sich für jedes Wochenende ein anderes Möbelgeschäft vor. Ich mußte jedesmal mit. In schwarzen Momenten schlug ich meinen Kopf gegen die Küchenwand und klagte: „Was muß ich noch alles tun, ein Mann zu werden? Reicht es denn nicht, wenn ich die Rechnung bezahle?“ Es reichte nicht! Sobald mein Engagement in Sachen Dunstabzughaube nachließ, fing Ilse wieder an zu schreien, und ich schlief wieder auf dem Sofa.

Zen, sagte ich mir, ist die Kunst, der Frau eine Küche zu kaufen. Ich sah also zu, daß ich ganz ruhig und weich und leer wurde. Bei IKEA wurde ich in den Hüften locker, bei Dodenhof lernte ich, im Edelstahl die Welt zu lieben, bei Möbel Flamme überlebte ich einen Suizidversuch, bei Interlübke erlebte ich meine Selbstverleugnung und bei Habitat die Vernichtung meines Ich einen neuen Höhepunkt. Ich lernte, Schließgeräusche von Schubladen zu interpretieren, Laminate von Lamellen zu unterscheiden und begann, meinen bisherigen Lebensstil zu überdenken: Ich hatte ja bis dato noch niemals einen Barhocker gewünscht oder gebraucht. Man stelle sich das vor!

Es kam der Tag, da folgte ich Ilse lächelnd wie ein Buddha durch die endlosen Flure der Möbelhäuser, und Ilse lächelte nicht mehr. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß praktisch alle Küchen in den geräumigen Gevierten der Möbelhäuser ihren Reiz ausspielen und sogar manchmal Charme entwickeln konnten, wozu Äpfel auf der Arbeitsplatte und Zeitungen auf dem Frühstückstisch beitrugen. Jeder Gedanke aber, die hübsche Alu-Ahorn-Kombination in die Verhältnisse unserer kleinen, windschiefen Dachschrägenwohnung einzupassen, führte zur Verzweiflung. Dazu trat das Problem, daß eine neue Küche regelmäßig einen neuen Fußboden, dieser aber eine neue Unterkonstruktion und diese am besten auch eine Teilsanierung des Untergeschosses nahelegte. So kam es, daß das Thema Küche aus der Mode kam.

Ich aber war unterdessen zum Mann geworden. Und Ilse? Es waren wohl doch die Hormone gewesen. Heinz-Uwe