Edelmütigkeit des einzelnen

Ann Huis „Alltägliche Helden“ setzt Hongkongs Opposition in Szene  ■ Von Harald Fricke

Es war einmal ein Prinz, der mußte im Exil leben. Britische Kolonialherren hatten ihn aus seiner einstigen Heimat Hongkong vertrieben, so daß er ziellos durch die Lande irrte, bis er an eine Höhle kam. Von dieser Höhle ging nun die Sage, daß dort 108 Helden eingesperrt seien. In seiner Verzweiflung ließ der Prinz die Eingeschlossenen frei, doch das Unglück wurde nicht geringer: Durch seine Tat kamen Marx, Engels, Trotzki und Mao, aber auch Stalin und Deng Xiaoping in die Welt. Der letzte Held aber hieß Ng Chung Yin, und er gründete die erste Bürgerrechtsbewegung von Hongkong.

Tänzelnd erzählt ein weißhaariger Beatnik die Geschichte, auf der Ann Huis „Alltägliche Helden“ beruht. Während sein minimalistisches Straßentheater den märchenhaften Rahmen vorgibt, versucht die chinesische Filmregisseurin, die historischen Hintergründe zu rekonstruieren. Ende der siebziger Jahre hat sich in Hongkong eine Opposition gebildet, die sich erst gegen die Kolonialherrschaft und, nach den Massakern auf dem Tiananmen-Platz, gegen die zukünftigen Machthaber aus der Volksrepublik auflehnte. Bei einer solchen Konfliktlage geraten die Ideologien schnell durcheinander: In den zwanzig Jahren des politischen Kampfes, die Hui in Szene gesetzt hat, hangeln sich die Aktivisten an marxistischen Idealen entlang, um es schließlich doch mit Demokratie zu versuchen.

Andere schwören auf die Mao- Bibel und aufs Christentum. Zu ihnen gehört Ah Kam, der – halb Italiener, halb Chinese – ein priesterliches Leben führt. Er unterrichtet die Armen in Englisch oder spielt bei Demonstrationen Protestsongs auf seiner Gitarre. Selbst den Junkies gibt er Geld für Heroin, weil „jeder seine Bedürfnisse hat“. Da weicht der Katholizismus ein wenig den kommunistischen Vorstellungen vom Glück.

Kams weltlicher Verbündeter ist Yau, der sich für die Rechte der „Boat Families“ einsetzt. Um die Überbevölkerung einzudämmen, wurde nach den Flüchtlingsbewegungen der 50er Jahre ein Gesetz erlassen, das zugewanderten chinesischen Frauen die Einreise nach Victoria, der Inselhauptstadt von Hongkong, verbot. Noch in den 80er Jahren mußten die Frauen wie Vieh auf Hausbooten leben. Aus einer solchen Familie stammt auch Sow, die sich der Protestbewegung anschließt, nachdem ihre Angehörigen beim Brand eines der morschen Schiffe ums Leben gekommen sind. Tung dagegen findet zu der Gruppe, weil er den Alkohol und die Depressionen seiner Mutter nicht mehr aushält. Und aus Liebe zu Sow. Später wird er in Tibet den Sinn des Lebens suchen und nach seiner Rückkehr Behinderte betreuen.

Ann Hui versteht sich auf einfühlsame Darstellungen. Oft sieht man ihren Helden zu, wie sie still den alltäglichen Dingen nachgehen. Dann wieder blendet die Kamera Zeitungsbilder von den Demonstrationen auf der Straße ein. So halten sich Innenleben und Außenwelt einigermaßen die Waage. Zugleich will Hui aber auch die Geschichte der gescheiterten Liebe von Sow und Tung erzählen, die zwischen Politaktivismus und Selbstfindung nicht zueinander kommen können. Für Sow ist Tung nur Ersatz für ihre Leidenschaft zu Yau, der sie bei seinem Marsch durch die Institutionen allerdings kaum wahrnimmt.

Irgendwann läßt Hui die ganze Tragödie über ihren Protagonisten niederprasseln: Sow wird von einem Auto angefahren und verliert dabei ihr Gedächtnis. Tung pflegt sie so lange, bis sich das Mädchen wieder an ihre Vergangenheit erinnert. Damit endet die Beziehung der beiden. Das ist in den filmischen Ellipsen zwar schön anzuschauen. Doch in der unentwegten Edelmütigkeit liegt auch ein Problem: Die Güte der einzelnen wird dem Gemeinwohl schwerlich gerecht. Tatsächlich besteht die Bürgerrechtsbewegung in Hongkong aus gerade einmal 150 Mitgliedern.

„Qian Yan Wan Yu“. Regie: Ann Hui. Mit Rachel Lee, Lee Kang Sheng, Anthony Wong u.a. Kanton, 128 Min. Heute, 9.30 Uhr, Royal Palast, 21 Uhr Urania