Reklame am laufenden Band

Das Gebot der Trennung von Werbung und Programm wird aufgeweicht: Bei n-tv zuckelt die Reklame dem Börsenticker hinterher und DSF mixt sie schon mal per Computer ins Bild. Ob das legal ist, bleibt umstritten  ■ Von Marcel Rosenbach

Die Fernsehschaffenden der Republik, denen Kritiker so häufig akuten Ideenmangel vorwerfen, laufen derzeit zu kreativen Höchstleistungen auf. Der neue Einfallsreichtum betrifft allerdings weniger das Programm. Denn die kreativen Köpfe des deutschen Fernsehens sitzen in den Abteilungen für den Werbezeitenverkauf. Dort, sagt DSF-Verkaufsleiter Lothar Eckstein, seien viele fleißige Mitarbeiter „ständig auf der Suche nach neuen Refinanzierungsmodellen“.

Die Suche hat offensichtlich Erfolg. Jedenfalls finden die Sender auf die Frage, wie mit demselben Programm mehr Geld zu verdienen ist, in den letzten Monaten immer neue Antworten. Zum Beispiel n-tv: Der Nachrichtensender aus Berlin strahlt seit letztem Sommer in seinem Börsenticker am unteren Bildschirmrand kurze Werbebotschaften aus. Die zuckelnden Reklametextchen haben optisch zwar den Charme von Fehlermeldungen früherer Heimcomputer, sind aber offenbar erfolgreich: n-tv vermeldet jedenfalls einen „Run auf diese neue Werbeform“. „Zu Spitzenzeiten sind wir bereits ausgebucht“, jubelt Verkaufsdirektor Helfried Schulke. Ford oder die Hypovereinsbank warben schon.

Beim Sportkanal DSF liebäugelt man derweil mit einem weitaus elaborierteren Verfahren. Im Dezember stellte Verkaufsleiter Eckstein bei einem Fachkongreß in Hamburg die Möglichkeiten virtueller Werbung vor. Mit Computertechnik können Sender real nicht vorhandene und für die Kameras nicht sichtbare Werbebotschaften in Echtzeit in die Fernsehbilder „hineinrechnen“. Zumindest zweimal ging die Cyber-Reklame beim DSF bisher schon über den Sender, gemerkt hat es bis auf Experten kaum jemand.

Für Reinhold Albert, Direktor der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM), lassen sich die aktuellen Entwicklungen auf dem Werbemarkt auf einen kurzen Nenner bringen: „Der Trend“, erklärt der Medienwächter, „geht eindeutig hin zur programmintegrierten Werbung“. Ein zentraler Grund für das rege Interesse der Sender an diesen neuen Werbeformen liegt auf beziehungsweise in der Hand: Die Fernbedienung, über die sich viele genervte Zuschauer in den klassischen Werbepausen zur Konkurrenz flüchten. Vor Laufbändern und virtueller Produktberieselung gibt es hingegen kein Entkommen. Wer nichts verpassen will, muß den Gang zu Klo und Kühlschrank verschieben. Ein Verkaufsargument, das die werbetreibende Industrie nicht geringschätzen dürfte.

Es gibt nur einen Haken. Die Kreativität der Fernsehmacher läßt sich nicht so recht mit den geltenden Mediengesetzen in Einklang bringen. Sie tangiert ein elementares Prinzip europäischer und deutscher Werberegeln: das Gebot der deutlichen Trennung von Werbung und Programm.

So bekam n-tv im November ein Schreiben der zuständigen Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Die Aufseher forderten den Sender unmißverständlich auf, diese neue Werbepraxis „zukünftig zu unterlassen“. Und auch die virtuellen Werbeeskapaden des DSF blieben den Behörden nicht verborgen: Die Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) leitete gegen den Sportsender umgehend ein „Beanstandungsverfahren“ ein.

Der Fall beim DSF ist noch einigermaßen klar: Virtuelle Werbung ist nach dem deutschen Rundfunkrecht eindeutig verboten. Dagegen hat sich das Thema „Laufband- Werbung“ mittlerweile zu einer spitzfindigen juristischen Definitionsschlacht entwickelt. Die Berliner Medienwächter argumentieren, das Trennungsgebot sei „ausschließlich zeitlich“ zu verstehen und untersage damit die zeitgleiche Ausstrahlung von Werbung und Programm. Indes halten die n-tv-Juristen die von ihnen praktizierte räumliche Teilung des Bildschirms für ausreichend. Zumal sie ihr Laufband seit einer ersten Abmahnung im Sommer zusätzlich mit einem roten Strich vom restlichen Bild „abtrennen“ und die Werbung im vorbeitickernden Text ausdrücklich kennzeichnen. Zudem zeigen die Berliner mit dem Finger auf ihren Konkurrenten Bloomberg-TV. Der auf Wirtschaftsthemen spezialisierte Sender, der seit vergangenem Jahr in Deutschland sendet, arbeitet ähnlich: Dort sind in einem Hauptfenster klassische Werbespots zu sehen, während gleichzeitig in mehreren Textkästen redaktionell über Wetter und Wirtschaftsdaten informiert wird. Bloomberg ist in Hessen zugelassen und sendet mit dem Segen der dortigen Landesmedienanstalt – bisher unbeanstandet. Die wackelige Begründung: Bei Bloomberg sei der Schirm im Unterschied zu n-tv „dauerhaft geteilt“.

Seit Dezember darf sich n-tv im Streit um die Werbung im laufenden Band als Etappensieger fühlen. Das Verwaltungsgericht Berlin, bei dem der Sender gegen den MABB-Unterlassungsbescheid geklagt hatte, entschied, bis zu einem endgültigen Urteil dürfe n-tv weiter im Börsenticker werben. Die endgültige Entscheidung fällt nach Auskunft des Gerichts voraussichtlich nicht vor Mitte April.

Selbst wenn die Richter die n-tv- Praxis dann verbieten sollten: In die Diskussion um zulässige neue Werbeformen ist Bewegung gekommen. Dabei handelt es sich bisher allenfalls um Vorhutgefechte: Richtig relevant wird das Thema, wenn Fernsehen und Internet weiter zusammenwachsen. Online ist die Vermischung von Reklame und „programmlichen“ Anteilen schon heute gang und gäbe. Auf Dauer wird das Trennungsgebot in seiner rigideren „zeitlichen“ Auslegung damit kaum zu halten sein. Für die virtuelle Werbung geht der Trend zur Zeit ebenfalls hin zur Liberalisierung. In den Landesmedienanstalten sei man inzwischen mehrheitlich der Ansicht, „daß sich das nicht aufhalten läßt“, berichtet NLM-Direktor Albert. Er selbst plädiere deshalb „für eine Zulassung im engen Rahmen“.

Für den rechtlichen Rahmen sind in Deutschland die Bundesländer zuständig. In der nächsten Woche treffen sich die Ministerpräsidenten zu einer Sonderkonferenz, um einen neuen Rundfunkstaatsvertrag auszuhandeln. Dabei wird es auch um die Neufassung der geltenden Werberegeln gehen – womöglich befassen sich die Länderchefs mit den neuen Reklameformen. Eines scheint jetzt schon sicher: In Zukunft wird es noch schwieriger werden, Werbebotschaften auszuweichen.