Taktische Nuancen

■ Gespräch mit Reinhold Fanz, dem neuen Trainer von Eintracht Frankfurt, der heute mit dem Spiel bei 1860 München sein Bundesliga-Debüt gibt. Der Coach gilt als Vertreter eines modernen Fußballs, will der Mannschaft seine Ideen aber „in kleinen Schritten“ nahebringen

taz: Sie sind ein Trainer, der auch auf jüngere Spieler setzt. Werden von denen schon einige im Match gegen 1860 München zum Einsatz kommen?

Reinhold Fanz: Ja, jeder bekommt wieder seine Chance, und der eine oder andere hat sie gut genutzt und sich in den Vordergrund gespielt. Es kann gut sein, daß einer auf der Bank sitzt oder bereits spielt.

Geht es etwas konkreter?

Nein, das mache ich nicht in der Öffentlichkeit. Die Spieler sollen das vom Trainer erfahren und nicht aus der taz.

Wird die denn in der Mannschaft so aufmerksam gelesen?

Die Spieler haben überall ihre Quellen.

Was haben Sie taktisch geändert?

Na ja, taktische Neuerungen – es gibt keine Weltneuheiten im Fußball. Wir wollen erst einmal leicht umstellen und uns dabei am jeweiligen Gegner orientieren. 1860 München spielt ja auch mit einem 5er-Mittelfeld und mit zwei Spielern über die Flügel.

Sie halten also am klassischen Libero fest?

Im Prinzip schon, aber es muß nicht so sein, daß der Libero immer vor der Abwehr spielt, er kann auch einmal dahinter spielen. Ein System wie die Viererkette kann ich nur bedenkenlos spielen, wenn ich mehrere schnelle, kopfballstarke Spieler zur Verfügung habe. Man muß erst einmal abwarten, bis Weber und Pedersen wieder spielen können, dann kann man darüber nachdenken.

Ihrem Vorgänger Horst Ehrmantraut wurde aus der Eintracht-Führungsclique ein Zweitliga-Taktikverständnis unterstellt, Sie wurden in Frankfurt als der moderne Trainer eingeführt. Haben Sie nicht erwogen, grundsätzlich auf Raumdeckung zu setzen?

Das wäre der nächste Schritt. Wenn die kleinen Veränderungen funktionieren, können wir weitergehen und versuchen, noch mehr im Raum zu spielen.

Warum diese Zögerlichkeit?

Das liegt ganz einfach daran, daß wir noch nicht soweit sind. Die Tendenz geht bei mir in Richtung Viererkette, aber ich bin kein pauschaler Verfechter. Es kommt immer darauf an, welches Spielermaterial man zur Verfügung hat. Man muß sehen, daß die Spieler jahrzehntelang ein anderes System gespielt haben. Aber natürlich kann jeder Fußballer das lernen. Raumdeckung ist nichts weiter als eine taktische Nuance.

Ulms Trainer Ralf Rangnick behauptet, mit 16 Mittelstreckenläufern nach vier Wochen Training eine gute Raumdeckung spielen zu können.

Ja. Wichtig ist eben, daß sie laufstark und vor allem laufbereit sind. Das ist die Grundvoraussetzung, doch alleine reicht das auch noch nicht aus. Im Jugendbereich hat jeder immer eine feste Position gespielt. Kein Wunder, daß die Spieler taktisch eingeengt und unflexibel ausgebildet sind. Für uns geht es jetzt darum, mit einem 5er-Mittelfeld erst einmal zu lernen, ballorientiert zu spielen, das ist quasi der erste Schritt. Wenn man sich die Bundesliga anschaut, merkt man, daß viele Spitzenmannschaften so spielen – Bayern, Lautern und 1860 etwa, die spielen alle ein 3-5-2. Wenn man das zugrunde legt, könnte man auch sagen: Die Viererkette ist Mist. International sieht es sicher wieder ganz anders aus.

Das vieldiskutierte Ulmer Modell ist also für Sie nichts revolutionär Neues?

Ulm spielt die Viererkette konsequent, das war sicher bisher ihr Vorteil. Aber ballorientierte Raumdeckung kann man mit einer anderen Grundordnung genauso spielen. Warten wir außerdem erst einmal ab, wie es mit Ulm in der Rückrunde weitergeht. Die Gegner stellen sich langsam auf die Viererkette ein, kommen selbst nicht hinten raus, so daß Ulm das Spiel machen muß, und dann wird es problematisch. Die Viererkette ist eine Spielform, die eher auf Konter ausgerichtet ist. Das System birgt Risiken, da in der Defensive die Absicherung fehlt. Wenn ein langer Ball kommt, entscheidet nur das Laufduell. Damit ist dieses Modell extrem von der Qualität der Spieler abhängig.

Wieweit ist das System denn für Ihr Team tauglich? Bei der Eintracht ist ja nicht davon auszugehen, daß sie allzuoft das Spiel machen muß.

Wenn man zu Hause spielt und es 0:0 steht oder dem Gegner ein Zufallstor gelingt, dann muß man auch das Spiel machen. Es kommt auf den Spielstand an.

Statt einer konsequent ballorientierten Raumdeckung also die spielstandsorientierte Raumdeckung.

Wenn Sie so wollen.

Sie sagten selbst, daß inzwischen jeder Rentner von taktischen Defiziten des deutschen Fußballs redet. Wo sollte der Hebel angesetzt werden?

Definitiv im Jugendbereich. Dabei denke ich weniger an taktische Probleme, sondern eher daran, daß man mehr mit den Jungs arbeitet, gezielter arbeitet. Ein gutes Beispiel sind die Internate im Osten, die inzwischen wiederbelebt werden. Es ist heute nicht mehr so, daß auf der Straße oder in der Schule viel Fußball gespielt wird. Zwei oder drei Stunden in der Woche reichen einfach nicht aus, das müssen die Jungs am Tag haben, und zwar nicht nur mit Laufen, sondern auch mit Techniktraining. Es zählt vor allem die technische Grundausbildung, und dafür braucht man Methoden, die Spaß machen, zum Beispiel Fußballtennis oder vergleichbare kleine Spielformen. Klar, ein grundsätzliches Taktikverständnis von vornherein zu vermitteln, ist schon wichtig, je später man damit anfängt, um so schwieriger wird es.

Was halten Sie vom neuen Modell beim VfB Stuttgart? Dort will man in allen Mannschaften, von der F-Jugend bis zum Profiteam, mit dem gleichen taktischen System spielen.

Na ja, das ist sicher erst einmal recht löblich, aber in erster Linie hört sich das gut an und liest sich gut. Wenn ein neuer Trainer für die Lizenzspielermannschaft kommt, wird das schnell wieder über den Haufen geworfen. Wichtiger ist, daß Jugendspieler allgemein gut ausgebildet werden. Wenn das der Fall ist, kann man verschiedene Systeme spielen. Bis zur C-Jugend müssen die fundamentalen Grundlagen im Technikbereich gelegt sein. Erst ab der B- Jugend wird die taktische Ausbildung interessant. Es ist nicht entscheidend, was gerade modern ist, sondern was in der jeweiligen Situation Erfolg verspricht. Interview: Klaus Teichmann