Sound of Sparta

Vor fünf Jahren war der Berliner Club Elektro noch halb legal, heute ist er ganz legendär. Jetzt hält ein Sampler Rückschau und beweist: je Minimal, desto Mythos  ■ Von Tobias Rapp

Jede Szene hat ihre legendären Orte. Geht es um Berlin und den Teil der Technoszene, der sich auch heute noch als irgendwie „Underground“ begreift, so ist das nicht etwa der Tresor, sondern das Elektro. Bis heute laufen Dutzende von Menschen, von denen viele den Laden nie betreten haben, mit Elektro-T-Shirts durch die Gegend: Es geistern Geschichten von Leuten über Theken, die in New York wegen dieses T-Shirts umsonst in irgendwelche Clubs kamen, sogar beim Bergsteigen wurde es schon gesehen. Ein ganzes Musikgenre, das sich zwischen experimentell, elektronisch und minimalistisch bewegt, benannte sich nach diesem Logo. Und wie jedes Erbe geht auch das des Elektro weiter, in anderen Räumen und in Form eines Labels, dem Elektro Music Department.

Dabei fing es mit lauter Zufällen an. Auf halbem Weg zwischen E-Werk und Tresor stand ein Haus leer, im Ladengeschäft war einmal ein Elektrohandel gewesen, der Schriftzug über der Tür kündete noch davon. Der Videokünstler Daniel Pflumm suchte ein Atelier, das Haus wurde besetzt und im Erdgeschoß ein Club eröffnet.

Er hatte ungefähr die Größe eines Wohnzimmers, eine Bar und einen Tanzraum, auf zwei Monitoren liefen Videos. Es gab keinen Türsteher, und es kostete auch keinen Eintritt, und überall prangten Logos: von Technics und AT&T über Esso bis zum Elektro-Logo selbst. Diesen gelben Schriftzug auf rotem Grund konnte man auch, erweitert um den Satz „Full Costumer Satisfaction“, im Elektro kaufen. Daß beim E und beim K Balken fehlen, ist schlicht dem abgeplatzten Putz der Fassade geschuldet, an der das Logo hing.

So war es. Wären in dem Laden Hämmer und Nägel verkauft worden, gäbe es heute einen Musikstil namens „Eisenware“. Fast zwei Jahre gab es den Club, von Dezember 1992 bis Ende 1994. Rund um das Elektro hatten die Berliner Internet-Pioniere Internationale Stadt ihre Räume, die Botschaft e.V., kurzzeitig auch der Chaos Computer Club. Alles potentielle Medienpartner, die natürlich im nachhinein, wegen ihrer multiplikatorischen Fähigkeiten, den Legendenwert eines Ladens in noch größere Höhen treiben. Doch wenn man Daniel Pflumm, Mo Loschelder und Klaus Kotai, die Betreiber des Elektro Music Department, heute nach der Bedeutung des kleinen Ladens befragt, erhält man eher zurückhaltende Antworten: Wegen des fehlenden ökonomischen Drucks habe es eine größere Freiheit gegeben, einen sozialen Raum für Kunst und Musik zur Verfügung und Benutzung zu stellen. Die drei Betreiber des Elektro sind überhaupt sehr entspannt. „Es ging eben nicht nur darum, sich zu treffen und zu betrinken“, sagt Daniel Pflumm, der das gestalterische Konzept entwickelte. „Die ökonomische Freiheit hat es erlaubt, ein strenges musikalisches Konzept zu verfolgen“, ergänzt Mo, damals zuständig für das Booking. Und dieses Booking, das dazu führte, daß der Detroiter Minimal-Techno- Held Robert Hood oder das Wiener Label Cheap in dem winzigen Laden spielten, ist natürlich Teil der Heldengeschichte – und nicht zuletzt einer der Gründe, warum der Laden im nachhinein als so „wichtig“ gehandelt wird. Was um so mehr erstaunt, als es im Elektro oft gähnend leer war, denn wenn kein Star auflegte, hingen dort nur genau die üblichen Verdächtigen ab, die es braucht, um einen Laden im nachhinein als wichtig erscheinen zu lassen. Dabei gehörte nicht viel dazu, das Elektro zu füllen: Fünfzig Leute, und man konnte sich nicht mehr umdrehen – aber das kam selten vor.

Das E-Werk war voll, aber eben nicht wichtig. Beide Läden gibt es heute nicht mehr. Im Dezember 95 eröffnete dann der Elektro-Nachfolgeclub, das Panasonic, ebenfalls in einem besetzten Haus in Berlin- Mitte. Der Laden war ein wenig größer, aber das Konzept war das gleiche. Mittlerweile sind sie in einem Nebenraum der Init-Kunsthalle gelandet – zufällig, weil diese von der Galerie Neu betrieben wird und weil Neu die Galerie von Daniel Pflumm ist. So löst sich der großangelegte Kunst-Techno- Crossover-Verdacht, der sich im Zuge der großangelegten Umarmung der Berliner Clubs durch die Kunstszene aufdrängt, bei näherem Hinsehen in ein persönliches Beziehungsgeflecht auf. „In Köln hätten wir uns vielleicht auch in der Musikszene situieren können“, sagt Klaus Kotai. Daß es eine Galerie und damit die Kunstszene ist, liege nur daran, daß so ein ähnlicher Freiraum geboten werden könne wie in den Räumen davor: „Niemand aus der Kunst könnte solche Musik machen.“

Und trotzdem hat es eine innere Logik, daß das Elektro Music Department ausgerechnet an eine Galerie angedockt hat. Denn das Besondere an der Musik ist die Symbiose, die sie mit dem Visuellen, ihren Videos, eingeht. Da sind beispielsweise die NYC-Loops, minimalistische Technoschlaufen, die sich kongenial mit visuellen Schlaufen verbinden. Ob es rasant schnell aneinandergeschnittene Produktlogos sind oder Sequenzen aus Werbeclips – Bilder und Rhythmus greifen ineinander, und die Leuchtreklamen vom Alexanderplatz blinken so zu den Loops. Zum Teil ist unveröffentlichtes Material auf der CD, zum Teil sind das auch schon auf Vinyl erschienene Tracks. Und es hört sich an wie der trockenste Minimal Techno, der denkbar ist. Die Platten des – ja auch nicht gerade für Opulenz bekannten – Labels Basic Channel sind ein Hort der springenden Freude gegen die Strenge der Elektro-Tracks. Je nach kulturhistorischem Referenzsystem könnte man ihn auch den Sound Of Sparta oder Klang von Preußen nennen.

Die Bildwelten der Videos sind ähnlich reduziert. Die Firmenlogos sind auf ihre graphische Essenz heruntergeköchelt, und wenn das AT&T-Logo minutenlang immer wieder aufgebaut wird und verschwindet, löst sich sogar die Essenz noch in ihre Bestandteile auf. Damit steht Elektro ziemlich einzig da – zwischen einer Kunstszene, die am laufenden Meter DJs bucht, um die Vernissagen aufzulockern oder Installationen einen Anstrich vom Puls der Zeit zu geben, und einer Musikszene, die in den Videoclips entweder irgendwelche Graphiken aus den Rechnern hervorzaubert oder irgend jemanden beim Tanzen filmt oder Kurzfilme als Musikbegleitung inszeniert.

Ironischerweise war es ausgerechnet das semidokumentarische Video vom Abriß des Elektro-Gebäudes, das als Clip zur ersten Platte des neugegründeten Labels den Mythos fernsehkompatibel und damit gültig machte. Geschlossen werden mußte das Elektro aber schon vor dem Abriß: Der Club starb einen genauso banalen wie coolen Berliner Post-Nachwende- Tod. Um das Clubnetz zu betreiben, ein Computernetz zwischen verschiedenen Berliner Clubs, durch das man vom Elektro aus mit Ravern aus dem Tresor chatten konnte, hatten die Betreiber einige Telefonleitungen angezapft. In besetzten Häusern kein unüblicher Vorgang, und zu Zeiten, wo die telefonische Versorgung in Ostberlin noch schlecht war, oft eine Notwendigkeit. Doch eines Tages wurde aus Versehen dem benachbarten Supermarkt die Leitung abgetrennt. Daraufhin besetzten mehrere Dutzend Polizisten und Telefonspezialisten den Laden, das Elektro wurde polizeilich geschlossen. Wenn das nicht der Stoff ist, aus dem die Berliner Underground- Legenden sind: vor fünf Jahren noch halb illegal und heute schon halb Kunst. Und das Ganze sieht nicht nur gut aus und ist stimmig, es hört sich auch gut an.

Kotai + Mo: Elektro Music Department (EMD/Neuton)