Bei der Jobsuche sollen Ausländer hintenan stehen

■ Befragung von 600 Berliner Jugendlichen ergab: Ausländische Kultur ist wohlgelitten, doch wenn es um Jobs geht, schleicht sich bei den Arbeitssuchenden immer mehr Feindseligkeit ein

Berlin (taz) – Die Berliner Jugendlichen sind intoleranter geworden. Das ist das Fazit einer Umfrage im Auftrag von Berlins Ausländerbeauftragter Barbara John (CDU). Dabei wurden 609 deutsche Jugendliche zwischen 16 und 25 Jahren zu den Themen Integration, doppelte Staatsbürgerschaft und Zusammenleben von Deutschen und Nicht-Deutschen befragt.

Die Bereitschaft, nichtdeutschen Jugendlichen Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu bieten und sie vor Benachteiligungen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt zu schützen, hat sich stark abgeschwächt. Zwei Drittel der Befragten sind dafür, daß hier geborene und aufgewachsene ausländische Jugendliche gleiche Berufschancen erhalten sollten. 1995 waren es noch 98 Prozent gewesen.

Heute sprechen sich sogar 14 Prozent dafür aus, daß lediglich Deutsche einen Vorrang in der Ausbildung bekommen sollten. Trotz der angespannten Situation auf dem Berliner Arbeitsmarkt halten 71 Prozent das Vorurteil „Ausländer nehmen Deutschen die Arbeitsplätze weg“, für falsch. Barbara John mahnte gestern an, das Thema Jugendarbeitslosigkeit als Hemmnis einer Integration nicht zu unterschätzen: „Der Abbau von Arbeitslosigkeit ist für Jugendliche das wichtigste Thema“, sagte sie.

In der Umfrage ging es auch um den Begriff „multikulturell“: Zwei Drittel der Befragten verbinden mit dem Begriff „Achtung und Respekt unterschiedlicher Gruppen und Religionen“ oder „Verträgliches Zusammenleben zwischen Deutschen und Ausländern“. Ein Viertel sagte, der Begriff habe etwas mit „Konflikten zwischen Kulturen“ und dem „Import von organisierter Kriminalität und Extremismus“ zu tun. Fast 14 Prozent meinten, „Multikulti“ sei die „Verdrängung der deutschen Kultur“. Mehrfachnennungen waren möglich.

Fast 96 Prozent der Jugendlichen sagten, Zuwanderer nach Deutschland müßten sich auf jeden Fall an die deutschen Gesetze anpassen. 90 Prozent forderten, Migranten müßten die deutsche Sprache beherrschen. „Hier ist die Sicht zur Integration wesentlich kritischer geworden als noch vor einigen Jahren“, sagte John. „Es scheint, daß die Jüngeren sich von einfachen Multikulti-Wunschbildern verabschiedet haben, daß alles irgendwie funktioniere und gut werde“, so John.

Das sei aber kein Nachteil, sondern bei der jüngeren Generation die Erkenntnis, daß Integration sich nicht von selbst herstellt und nicht so einfach zu haben ist, meinte John. Nur eine geringe Rolle oder gar keine spielen kulturelle Aspekte. In bezug auf Kleidung, Eßgewohnheiten, Religion, Benehmen und Respekt waren jeweils nur unter zehn Prozent dafür, daß sich Zuwanderer in diesen Punkten anpassen müßten.

71 Prozent der Befragten konnten sich vorstellen, mit einem ausländischen Partner zusammenzuleben. In bezug auf Einbürgerung zeigen die Kids jedoch wenig Toleranz: Denn 37,8 Prozent der Befragten wollen, daß die jetzige Einbürgerungspraxis erschwert wird. Nur ein knappes Viertel ist für eine leichtere Einbürgerung. In der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ist die Hälfte für eine Änderung der jetzigen Gesetzeslage, 47 Prozent ist dagegen, daß zwei Pässe möglich sein können. Dabei sind im Westteil der Stadt 65 Prozent für den Doppelpaß, im Osten nur 43,3 Prozent.

Unwissenheit herrscht bei einem Großteil der Jugendlichen: Nur 20 Prozent der Befragten schätzen die Zahl der in Berlin lebenden Ausländer richtig ein. Die Zahl liegt bei 437.000. Die Hälfte gehen von 500.000 bis einer Millionen Nicht-Deutschen aus. Fast 23 Prozent schätzen die Zahl auf mehr als eine Million.

Trotz dieser Ergebnisse zeigte sich die Ausländerbeauftragte gestern zufrieden: „Zusammengefaßt zeigt sich, daß deutsche Jugendliche in Berlin keineswegs stärker als Anfang der neunziger Jahre rechtsradikalen Einflüssen in der Integrations- und Ausländerfrage zuneigen, wie es oft behauptet wird“, sagte John. Doch sie warnte auch davor, daß die Neigung, in „wirtschaftlich schweren Zeiten“ Nicht-Deutsche als Konkurrenten zu sehen, weiterhin zunehmen werde, wenn nicht für alle eine bessere Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werde. Julia Naumann