Vollkommen abgeschmettert

■ Tischtennis-Dauerkrise: Warum Hamburgs Aktive bei den Norddeutschen Meisterschaften keine Chance hatten und auch künftig nicht haben werden

Es sieht ziemlich leicht aus, wenn Oliver Alke den Ball sanft antippt und einen langsamen Aufschlag bringt, dabei das weiße Kügelchen aber so verheerend anschneidet, daß es für die Gegner des 28jährigen schier unkontrollierbar wird.

Wieviel Schweiß hinter der Leichtigkeit verborgen ist, läßt sich von außen kaum feststellen. Leicht ist beim Tischtennis nur der Ball: 2,5 Gramm weißes Zelluloid, Durchmesser: 38 Millimeter. Mit Spitzengeschwindigkeiten von 170 Stundenkilometern kann der Ball über die Platte geschossen werden. Extrem angeschnittene Bälle drehen sich gar 150mal pro Sekunde – Hochgeschwindigkeits-Varieté im Grenzbereich des Reaktionsvermögens.

Vielleicht ein Grund dafür, warum bei Veranstaltungen wie den Norddeutschen Einzel-Meisterschaften der Männer und Frauen die Besucherränge nur spärlich gefüllt sind. In der Sporthalle Wandsbek blieben die Aktiven am vergangenen Wochenende weitgehend unter sich. Vielleicht waren es 200 zahlende Zuschauer. „Dabei ist der Sport sehr spektakulär“, meint Rolf Reincke, Sportwart und Schiedsrichter-Obmann des Hamburger Tischtennis-Verbandes (HTTB), aber – und das ist wohl entscheidender – „wegen der Schnelligkeit ist es nicht sehr zuschauerfreundlich“. Längere Ballwechsel, so der 34jährige Funktionär, kämen kaum zustande.

Ebenso kurz und knapp bringt es Christine Mersiowsky auf den Punkt. Die 28jährige Pressewartin des HTTB klagt: „Das größte Problem bleibt die mediale Unaufmerksamkeit.“ Insbesondere unter Jugendlichen würde dem Rückschlagspiel immer noch der großväterliche Charme eines muffigen Turnhallensports anhaften. „Wer greift schon in Zeiten von Streetball und Inline-Skating zum Pingpong-Schläger“, fragt sich die PR-Frau und weiß doch die Antwort zu genau.

Seit Jahren dümpelt der weiße Sport des kleinen Mannes in der öffentlichen Wahrnehmung irgendwo zwischen Faustball und Fechten. Selbst Europapokal-Siege oder Triumphe bei Weltmeisterschaften werden wenig registriert.

Tischtennis in Deutschland? Das ist Jörg Roßkopf plus ein wenig Timo Boll. Längst hat sich zwar auch in der Zelluloidbranche das Berufssportlertum durchgesetzt. Es sind in den Bundesligen aber nur die absolut Besten, die eine ansehnliche Summe im Jahr verdienen. Seit durch das Bosman-Urteil zudem beliebig viele Akteure aus der Europäischen Union (EU) eingesetzt werden dürfen, droht den wenigen deutschen Profis und Talenten der Entzug der Existenzgrundlage. Titel kann man heutzutage allein mit Enthusiasmus und Ballgefühl nicht mehr gewinnen. Finanzkräftige Sponsoren bestimmen und kaufen sich die kommenden Meister zusammen.

Nicht so in Hamburg. In der Hansestadt spielen inzwischen nur noch gut 7500 Aktive Tischtennis in einem der rund 120 Vereine. Vor vier Jahren waren es noch 8600. Selbst Tanzsport oder Angeln finden größeren Zuspruch.

Pressefrau Mersiowsky erklärt sich das Desinteresse auch so: „Wir haben deutliche Nachteile gegenüber den größeren Verbänden, das bringt ein kleines Bundesland so mit sich.“ Die Nachwuchsfrage stelle sich fast gar nicht, da viel zu wenig Geld für eine vernünftige Leistungsförderung vorhanden sei. „Wir wollen mit günstigen Schnupperkursen das Interesse wecken“, versucht der HTTB dem Negativ-Trend entgegenzuwirken.

Vor allem die Bemühungen um die weiblichen Talente hat der Hamburger Tischtennis-Verband dringend nötig. Denn während bei den Männern zumindest einige Talente wie Oliver Alke oder Karsten Willhöft den Sprung an die nationale Spitze bei Vereinen in den benachbarten Bundesländern Schleswig-Holstein oder Niedersachsen geschafft haben, sieht es bei Frauen düster aus. Vergebens wartet man bis heute auf das Coming-out eines Hamburger Frauen-Teams, wie es Ende der 80er mit Germania Schnelsen und zu Beginn der 90er mit dem SC Protesia in der Männer-Bundesliga der Fall war.

Die besten Hamburger Teams bewegen sich derzeit bei Männern, und Frauen auf Regionalliga-Niveau. Hamburger Ballartisten werden somit regelmäßig von den virtuosen Händchen der starken Konkurrenz über den Tisch gezogen. Das war vergangenes Wochenende nicht anders. Oliver Lück