Noch so eine unverkrampfte Nation

■ Italienische Filme setzen auf „family values“ und reichlich gute Laune

Italien hat's auch nicht besser. Lassen wir Roberto Nazzionale mal außen vor und nehmen das Auftreten auf der Berlinale für repräsentativ, befindet sich der italienische Film derzeit sogar in einer Krise, und das nicht nur, weil es kein Film in den Wettbewerb geschafft hat. Reichlich unambitioniertes, konventionelles Kino war zu sehen, keine Spur mehr von der absurden Komik oder den antibürgerlichen Denunziationsriten vergangener Tage. Aufgeräumt und heiter ging es statt dessen zu, nette Familien- und Beziehungskomödien verbreiteten gute Laune. Noch so eine unverkrampfte Nation.

Jedem einzelnen der Filme tut man mit diesem Gesamtbild unrecht. Der einzige Beitrag, der der Langeweile etwas entgegenzusetzen versprach, „Rose e pistole“, kommt damit allerdings noch viel zu gut weg. Der absurde Trip eines Gaunerpärchens durch die Subwelten der Homosexuellen, Fetischisten und Vegetarier entpuppte sich als stilistische Fingerübung voller Klischees, die sich als L'art-pour- l'art-Konzept andienten. Tarantinos Hohlfiguren stolperten da durch Hartleys leere Kulissenlandschaften und hechelten doch nur ohne jede ironische Brechung dem letzten Trend hinter. Für solche Belanglosigkeiten wurde der 47jährigen Carla Apuzzo ein „Forum des jungen Films“ geboten. Das einzig Echte an diesem Film ist sein richtungweisender Schluß. Rosa, die weibliche Hauptfigur, entscheidet sich für Kind und Familie.

Dasselbe Ende findet Imma im ungleich erfreulicheren „Am Anfang waren die Unterhosen“ von Anna Negri, einer charmanten Situationskomödie, deren Titel grob die biblischen Dimensionen ihres Themas umreißt. Unter den allesamt lebensuntüchtigen Unterhosenträgern gilt es, den Richtigen zu finden. Weil beim nächsten Mann bestimmt alles anders wird, hüpft Imma durch die Betten, um sich immer wieder enttäuschen zu lassen. Dabei erfahren wir das interessante Detail, daß sich in Italien die Frauen gegenseitig beim Sex zugucken und noch in actu die Qualitäten ihrer Lover diskutieren. Das ist bestimmt nicht nur im Kino so. Denn wenn ein nationaler Bestseller verfilmt wird, müssen solche Verallgemeinerungen erlaubt sein. Was für ein freies Land! Leider siegen mit dem Erscheinen des Feuerwehrmanns mit den starken Armen, für den Imma sogar ihre Couch in Brand setzt, dann doch die family values. In einem klugen Szenario wären originellere Auflösungen durchaus möglich gewesen.

Um die heilige Familie geht es auch in Alessandro Colzzis zähem Drama „L'Ospite“ und in Cristina Comencinis „Matrimoni“. Dort hat Giulia den Richtigen schon gefunden, sie weiß es nur noch nicht. Wieder ein weiblicher Blick auf das ewige Thema Männer und Frauen, dem sich Comencini mit dem denkbar bürgerlichsten Setting annähert: Gespannt wartet die Großfamilie auf das Weihnachtsessen, das Giulia sicher auch dieses Mal zur Perfektion treiben wird. Doch die hält dem Druck nicht mehr stand, reißt an Heiligabend aus und besucht ihre Jugendliebe. Ehemann Paolo muß in sich gehen, bis alles wieder im Lot ist. Lustige Verwicklungen sorgen für harmonieselige Langeweile für Menschen ab vierzig. Da muß dann ein knallharter Polizeithriller wie „Vuoti a perdere“ herhalten, um das Land nicht ganz im Familienglück ersticken zu lassen. Einen Ausweg aus der Misere weist das nicht gerade. Nächstes Jahr wird Italien mehr bieten müssen. Philipp Böhler