■ Hans Magnus Heine seine „Brigitte“ hat die Arbeitslosen satt
: Umsteigen! Dranbleiben! Investieren!

1991 fuhr Richard v. Weizsäcker den Düsseldorfer Heinepreis ein. Eckhard Henscheid schrieb den Juryentscheid der schon damals grassierenden „implodierenden Saudummheit“ der Eliten dieses Landes zu. Seither hat sich alles noch mal verschlimmert. Ausgerechnet der gesamtdeutsche Topessayist Hans Magnus Enzensberger nahm im Dezember letzten Jahres nämliche Auszeichnung entgegen und erwies durch seine Dankesrede dem quadratblöden Zeitgeist die Reverenz.

Die Klappe halten und die Ärmel hochkrempeln

Anfang der siebziger Jahre las Enzensberger dem Kapitalismus die Leviten und schrieb zugunsten Kubas. Heute nervt das „Großhirn der deutschen Intelligenzija“ (Süddeutsche Zeitung) die Rede von der Armut, der Zweidrittelgesellschaft und die „moralische Überdüngung“ des Landes, kurz: das noch immer nicht ausgerottete Gerechtigkeitsdenken. Der dreiste Arbeitnehmer solle die Klappe halten, die Ärmel hochkrempeln und das Krankfeiern lassen, nölte Enzensberger und beschwor die vollends entfesselte Konkurrenz aller gegen alle. Er bewegt sich damit auf einer von Heinrich Heine über Helmut Kohl bis zu Gerhard Schröder reichenden Linie volksdeutscher Schwerdenker, die nun gar eine Zeitschrift bereichert, die wir bislang gerne ignorierten.

Mir wurde ein Artikel aus Nummer 3/1999 des Frauenuntergrundblattes Brigitte zugespielt. Deren Mitarbeiterin Vera Sandberg hat zwar Heine nicht gelesen, aber bei Enzensberger gut aufgepaßt. Sie wagt es, ein echtes und vielleicht das letzte Tabu zu brechen: Jene, die heute in Lohn und Brot stehen, sollten sich endlich dagegen verwahren, von ihren neidischen gramerfüllten Mitmenschen als Glückspilze abgestempelt zu werden. „Ich habe das satt!“ schreit Vera. Satt habe sie die heuchlerischen „Pechvögel“, die ihren Hintern nicht aus dem Haus bewegen. Satt habe sie die Selbstgerechtigkeit der Sozialhilfeempfänger. Und „die eilfertigen Erklärungsversuche angeblich Benachteiligter“: „Auch das habe ich satt.“

Derart satt saudumm wie hier feierten sich selten irgendwelche Parvenüs in irgendwelchen plagenartigen Modemagazinen. Unsere Vera setzt durchaus neue Maßstäbe. „Es gibt immer Ausgänge aus der Not“, predigt sie vom hohen Roß der journalistischen Nichtsnutzigkeit den faulen Tröpfen. Man müsse halt „ins Internet“ umsteigen, „um dranzubleiben an der Technik“, und statt seine Stütze „für umfangreiche Videotape-Sammlungen“ rauszuballern, investiert die ewig redlich bemühte Selfmadewoman „in Büroelektronik“. Selber schuld sei „die Frau aus dem Osten, die der Umwelt ihr Dauerwellenstroh auf dem Kopf zumutet“, um hinterher das „politisch korrekte Mitleid der Gesellschaft zu kassieren“.

Der Leitstern aller jobsuchenden Ehrgeizlinge

Mit Stroh in der weichgeklopften Birne empfiehlt man sich für Brigitte und zeigt, wo der Holzkopfhammer hängt. Den strahlenden Leitstern aller jobsuchenden Ehrgeizlinge stellt Vera auch gleich noch vor: Es ist Vera Sandberg. „Ich bin Freiberuflerin. Selbständige. Da habe ich den Abgrund jeden Tag vor der Nase“, und den Rotz, den sie verzapft, müssen wir dann lesen. Sie verlangt „Flexibilität“, vulgo Arschkriecherei, und „Realismus“, also den Willen, dem „Markt“ zu gehorchen. Sie fordert uns auf, „die Dinge zu sehen, wie sie sind“, und feiert ihren eigenen Werdegang als Musterbeispiel einer toughen Neuzeitexistenz, die nicht die gescheiterte Ehe und nicht ein lasches Elternhaus vom unwiderstehlichen Vormarsch abzuhalten vermochte. Vera beichtet, sie habe immer „Hier!“ gerufen, wenn es was zu tun gab. Ihre „Erfolgsstory“, klärt sie auf, „ist eine Aneinanderreihung von ziemlichen Härten“, Wehrtauglichkeitsstufe 1A sozusagen.

„Was hindert einen auftragslosen Schreiber, Kindern im Kindergarten Märchen vorzulesen? [...] Warum sollte ein Gärtner ohne Job nicht den Wald harken? [...] Es gibt genug zu tun“, ruft die unappetitliche Kläfferin zur Arbeitsfront. Frei nach Heine, Hans Magnus Enzensberger, der deutschen Frauenliga und ihrem Flaggschiff Brigitte: Führerin, befiehl! Wir schuften! Denn „wer wirklich gut ist, hat auf die Dauer auch Glück im Job.“ Daß uns das mal eine geweissagt hat. Jürgen Roth