Schlamm und Glamour

■ Die Lindenstraßen-Darsteller haben sich für ihren Standfotografen ins Bild gesetzt

Lindenstraßen-Partys strahlen etwas ungeheuer Familiäres aus. Knut „Hajo Scholz“ Hinz busselt die junge Schildknecht (Sibylle Waury) ganz ohne zu stottern, Vater Beimer-Luger smalltalkt mit Gung, und beim Gruppenbild wird gelächelt, was die Gesichtsmuskeln hergeben. Ach, und wie vertraut sind sie einem doch geworden, diese Gesichter! Niemals mehr werden wir Marie-Luise Marjan sehen können, ohne Mutter Beimer zu denken. Und doch soll nun eine Ausstellung beweisen, sie könnten auch anders. Standfotograf Thomas Koch hat die Schauspieler der Lindenstraße fotografiert: in „ganz eigenen, privaten Inszenierungen“, wie die Einladung zur Vernissage versprach. Begehrlich leckt sich der voyeuristisch veranlagte Fan die Lippen. Und wird nicht enttäuscht. Denn hemmungslos haben unsere Familienschauspieler die bürgerliche Fassade abgeworfen und zeigen sich so, wie sie sind. Beziehungsweise, wie sie sein wollen. Denn natürlich präsentieren sich die Normalo-Darsteller der Lindenstraße nicht als die Normalos, nach denen sie auch im wirklichen Leben aussehen, sondern gaaanz anders.

Klausi zum Beispiel (um die verzweifelte Suche der Schauspieler nach einer Identität jenseits des Serienimages zu sabotieren, nennen wir im Folgenden vor allem die Seriennamen) ist mit flippig fliegenden Haaren, mitten in wildem Hüpfer erstarrt, vor einem Garagentor zu sehen. Yo Klausi, Yo! Sein WG-Kollege Momo sitzt mit vor Kälte erigierten Brustwarzen im Wald; seine zur Ananas zusammengesteckten Rastalocken imitieren in Struktur und Farbe das Unterholz, oder umgekehrt. Erdverbunden auch Dr. Dressler: Er hat seine Tränensäcke zusammen mit dem Rest seines Oberkörpers unter einer Schlammschicht versteckt und posiert mit einer von ihm geschaffenen Skulptur, die die ganze Lindenstraßenfamilie in Seriengründer Geißendörfers schützenden Armen zeigt. Klopft man den Schlamm ab, so scheinen die sanften Doktoraugen zu sagen, kommt ein Künstler zum Vorschein, Ludwig Haas mit Namen.

Die Damen des Ensembles dagegen wollen vor allem Glamour. Else Kling gibt die Grande Dame in Wohnzimmeratmosphäre; Gabi Zenker produziert einen heftigen Crash zwischen ihrem bodenständigen Bäckerreiverkäuferinnengesicht und der gewählten Rolle als Scarlett O'Hara. Und zu Isolde Pavarottis Vorstellung von Erotik gehört es offensichtlich, sich einen Hahn vor's Haupt zu halten.

Überhaupt, die Erotik. Wo beim Vorspiel vorabendtauglich die Klappe fällt, staut sich wohl einiges auf. Georg „Käthe“ Eschweiler jedenfalls hat sich mit Anzug und langer Masochisten-Eisenkette am Handgelenk ablichten lassen. Und unser Vasily hält seinen bloßen Oberkörper offensichtlich für sexy. „Ach, das ist mir irgendwie zu nackt“, haucht die durch die Ausstellung flanierende Isolde Pavarotti. Ein Herr mit Weste dagegen stöhnt: „Künstlerisch. Wirklich künstlerisch.“ Wirklich cool aber sind Berta Griese und Hänschen Beimar. Letzterer steht mit mafiösem Anzug, 3-Drehtage- Bart und Lindenstraßen-untypischer Selbstironie auf einem Autofriedhof und schaut gefährlich.

Wer jetzt seine Lieblinge noch vermißt, darf sich auf die Fortsetzung freuen (Andy Zenker als Hell's Angel? Gung im Tütü?), denn Thomas Koch ist noch nicht fertig mit dem Ablichten. Sorgen muß man sich allerdings um die Identitätsbildung von Mutter Marjan-Beimer machen. Die sieht nämlich auf dem Foto aus wie in der Serie wie in echt. Eine Beimer ist eine Beimer ist eine Beimer, da gibt es kein Entkommen. Elke Buhr

„Das andere Gesicht der Lindenstraße“. Bis 6. April 1999, WDR- Arkaden, Köln