■ Nebensachen aus Washington
: Das Ghetto mit Gartenidyll als besonderer Kick

Vor dem vergitterten Laden stehen leere Sekt- und Cognacflaschen. Anderntags sind sie weggeräumt, werden aber bald durch leere Bierflaschen ersetzt. Jemand hat ein Paar Turnschuhe zusammengebunden und über die Straßenlaterne geworfen. Die leeren Flaschen erinnern an die beiden Jungen, die am Abend vorher in dem Laden erschossen wurden, der vor einiger Zeit eine Pizzeria war. Das Restaurant hatte sich nicht halten können, hier an der Ecke 15te und D-Straße. Hier hält sich kaum der Waschsalon nebenan. Die Schnaps- und Bierläden aber, die hier fast an jeder Straßenecke stehen, die florieren.

„Die überschwemmen unser Viertel, und vor jedem dieser Läden stehen diese jungen Leute rum, und es gibt Ärger“, erregt sich jemand. „Die können doch hier kaum Umsatz machen, wo es einen Safeway um die Ecke gibt. Das sind doch Drogenumschlagplätze,“ tobt ein anderer. Eine Frau meldet sich: „Wir brauchen eure Hilfe“, sagt sie Captain Dreher zugewandt. „Wir brauchen eure Hilfe“, antwortet Captain Dreher.

In der Payne Elementary School geht es hoch her an diesem Abend. Sonst gleichen diese Bürgerversammlungen mit Polizei eher Elternabenden – eine Art Pflichtveranstaltung, nach den beiden Morden aber ist der Saal voll. Die Polizei ist mit 15 Beamten gekommen, auch die Mordkommission und das FBI sind da. „In sechs Jahren sind hier 20 Morde unaufgeklärt geblieben“, sagt ein Mann. „Mord ist legal auf Capitol Hill“, empört er sich. „Die Drogengangs üben hier die Kontrolle aus“, ereifert sich ein anderer, „das ist wie in Kolumbien. Die Polizei hat ja keine Ahnung!“

Die Beamten sind zurückhaltend und appellieren an die Geduld des Publikums: „Wir bewegen uns nicht in einem Vakuum und können uns den Weg aus diesem Schlamassel nicht herausverhaften“, bittet Captain Dreher um Verständnis. „Das sagt ihr seid 10 Jahren“, unterbricht ihn jemand, „seit 10 Jahren hören wir immer die gleichen Versprechungen.“

„Wieso hängen die Jungs immer vor meinem Haus rum, ich kann mein Kind nicht in unseren Vorgarten lassen“, fragt eine junge schwarze Frau besorgt. „Aber irgendwo müssen sie doch hin“, beschwört Captain Dreher die Anwesenden. „Es gibt hier doch weder Basketballplätze, noch Cafés, von einem Jugendclub ganz zu schweigen.“ „Wenn das hier nicht anders wird,“ droht ein Mann, „ziehen wir weg. Keine fünf Minuten vor der Schießerei ist meine Frau vom Einkauf bei Safeway nach Hause gekommen, man traut sich ja nicht mehr auf die Straße.“

Der Mann, der wegziehen will, liegt nicht im Trend. Der Stadtteil hinter dem Capitol ist einer der begehrtesten der Stadt. Häuser, die vor zwei Jahren 190.000 Dollar kosteten, werden für 290.000 angeboten und für über 300.000 verkauft. „Wenn das hier Georgetown wäre, würde das nicht passieren. Es ist, weil Capitol Hill ein vorwiegend schwarzer Stadtteil ist“, erklärt ein Mann, der hier seit dreißig Jahren wohnt und die beiden Erschossenen kannte. Doch Capitol Hill mit seinen idyllischen Backsteinhäusern und Vorgärtchen ist im Begriff, das nächste Georgetown zu werden. Daß dieser Stadtteil als einer der gefährlicheren in der Stadt gilt, scheint gerade seinen Reiz auszumachen.

Während die Polizei weitgehend ratlos ist, wie sie der Jugendgangs habhaft werden soll, dringen Besserverdienende vor und verändern den Charakter des Stadtteils. Doch deshalb wird Capitol Hill nicht sicherer, Polizei und Stadtverwaltung geraten zunehmend unter Druck. Und periodisch schlägt die harte Realität des Ghettos durch die beschauliche Fassade eines aufstrebenden Stadtteils. Peter Tautfest