"Renten werden nicht mehr stark steigen"

■ Bert Rürup ist einer von sieben Experten in der neuen Rentenkommission. Der Finanzwissenschaftler sorgt sich um ein altes Problem: zu viele Alte, die in Rente gehen - zuwenig Junge, die sie bezahle

taz: Herr Rürup, was halten Sie vom Vorschlag des Arbeitsministers Riester, die Rentensteigerungen von der Entwicklung der Nettolöhne abzukoppeln?

Bert Rürup: Das ist eine übereilte, kurzfristige und politisch unkluge Reaktion auf das kürzlich erlassene Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Familienförderung. Bekanntlich drohen dem Bundeshaushalt als Folge des Urteils ab 2002 Steuerausfälle von rund 20 Milliarden Mark. Wenn diese Summe nicht im Rahmen der Einkommensteuer gegenfinanziert, sondern durch Kürzungen von Ausgaben im Haushalt oder durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer erreicht würde, wäre ein Anstieg der jährlichen Rente um 0,4 Prozent die Folge und Beitragserhöhungen in ähnlicher Größe die Konsequenz. Und das wollte diese Regierung ja gerade verhindern.

Muß nicht die demographische Formel, die die alte Regierung eingeführt und Rot-Grün nun ausgesetzt hat, wieder her?

Die Aussetzung war ein Fehler. Der demographische Faktor sollte ja die Benachteiligung der Jüngeren, die sich durch die bis dahin in der Rentenformel nicht berücksichtigte steigende Lebenserwartung ergibt, teilweise ausgleichen. Im Klartext hieße das: Die Renten wären im Durchschnitt langfristig nicht so stark gestiegen wie bislang. Was Herrn Riester jetzt aber einfällt, ist eine kurzfristige Sparmaßnahme. Sie zielt nicht darauf, das Rentensystem langfristig billiger und für die Jungen gerechter zu machen.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Auf jeden Fall würde ich das für den Sommer anstehende Verfassungsgerichtsurteil zur Ertragsanteilsbesteuerung bei Renten abwarten. Wenn die gegenwärtige Art der Besteuerung für verfassungswidrig erklärt wird, was Experten allgemein erwarten, dann ist die Nettoanpassung der Renten ohnehin obsolet. Denn in der Nettoanpassung ist eine Besteuerung ja implizit schon enthalten. Die Folge wäre also, daß wir dann möglicherweise gezwungen wären, die Renten wieder an die Entwicklung der Bruttolöhne zu koppeln.

Das heißt, der Rentenkommission sind die Hände gebunden?

Nein. Es gibt viel zu tun. Aber ich warne davor, auf die Schnelle vor dem Urteil Karlsruhes eine neue Rentenformel zu konzipieren, die möglicherweise in ein paar Monaten keinen Bestand mehr hat.

War die alte Regierung nicht ehrlicher, als sie mit dem demographischen Faktor eine langfristige Absenkung des durchschnittlichen Rentenniveaus plante?

Nochmals: Ich gehe davon aus, daß es wieder den ausgesetzten oder einen ähnlich wirkenden neuen demographischen Faktor geben wird – unabhängig davon, ob die Rentensteigerungen nun an die Entwicklung der Netto- oder Bruttolöhne gebunden wird.

Die Regierung wird also sagen müssen, daß die Renten langfristig sinken werden?

An der Rücknahme von Leistungen wird kein Weg vorbeiführen. Wenn eine Gesellschaft wie die der Bundesrepublik altert, also der Anteil der Älteren stark zunimmt, ist dies zwingend mit steigenden Kosten verbunden. Diese Kosten sind nicht wegreformierbar, sie sind nur ökonomisch sinnvoll und gerecht verteilbar. Es kann nicht sein, daß man alle Kosten der Alterung auf die Jungen abschiebt. Da muß ein gesellschaftlicher Konsens geschaffen werden. Auch die Alten müssen damit rechnen, daß ihre Renten künftig nicht mehr so stark steigen wie bisher.

Nun hat Riester vorgeschlagen, eine bedarfsorientierte Mindestsicherung einzuführen.

Das ist ein gute Idee, die im übrigen alle Argumente gegen den Demographiefaktor aushebelt. Denn durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung könnte kein Rentenempfänger in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Zudem würde unser Rentensystem etwa für Teilzeitbesschäftigte attraktiver und auch moderner. Denn jedes modernes Alterssicherungssystem hat zwei Ziele: Den Erhalt des Lebensstandards und die Vermeidung von Altersarmut.

Wer würde die Mindestsicherung erhalten?

Sie zielt überwiegend auf die wahrscheinlich wachsende Gruppe der Menschen mit unstetigen Erwerbsverläufen. Für sie, die nicht dauerhaft Vollzeit beschäftigt sind, wird es ja zunehmend schwerer, eine ausreichend hohe Rente im Alter zu erhalten. Die Mindestsicherung verhindert, daß ein Arbeitnehmer, der lange Jahre Beiträge in die Rentenkasse gezahlt hat, aber dennoch nur eine Rente unter dem Sozialhilfeniveau bekäme, im Falle einer Bedürftigkeit an das Sozialamt verwiesen würde.

Wieviel wäre das?

Die Sozialhilfe beläuft sich auf rund 40 Prozent des durchschnittlichen Nettoarbeitentgeltes. Ich würde eine bedarfsgeprüfte Mindestsicherung in Höhe von 45 Prozent vorschlagen. Das wäre im Durchschnitt heute rund 1.400 Mark im Monat. Ich möchte eben den langjährig Versicherten, der möglicherweise nur Teilzeitjobs gehabt hat, besser stellen als den Sozialhilfeempfänger, der keiner Berufstätigkeit nachgegangen ist.

Im Jahre 2030 wird das Verhältnis der Rentenzahler zu den Rentenempfängern fast eins zu eins sein. Deswegen haben alle Parteien überlegt, einen Kapitalstock zu schaffen. Dieses angesparte Geld soll in 30 Jahren dazu beitragen, daß die Rentenbeiträge nicht exorbitant ansteigen.

Ich halte wenig davon, einen Kapitalstock innerhalb des Rentensystems aufzubauen. Der Aufbau eines solchen Stocks würde in den nächsten 15 bis 20 Jahren höhere Abgaben erfordern – das ist bei vier Millionen Arbeitslosen unsinnig. Im übrigen wird sich in den Jahren nach 2030 das Jungen-Alten-Verhältnis nicht verbessern, es wird sich nur noch stärker zu Lasten der Jungen verschieben. Da man einen Berg, nicht aber ein Plateau untertunneln kann, würde dies zudem einen dauerhaften Kapitalstock erfordern. Außerdem sind Kapitalstöcke, die unter dem Dach der Sozialversicherung angesammelt und verwaltet werden, nie vor dem Zugriff durch die Politik sicher. Die Versuchung, diese Gelder im Falle einer Notlage des Staatshaushaltes zweckentfremdet zu verwenden, ist sehr groß.

Riester fordert, für 60 bis 65jährige zusätzlich einen Tariffonds einzurichten.

Die Idee hat eine Menge ökonomischen Charme. Die Abführungen an den Fonds dürfen aber nicht zur Finanzierung einer sogenannten Rente ab 60 ausgegeben, sondern müßten zugunsten der einzelnen Einzahler angelegt werden. Interview: Severin Weiland