Bei Quarktaschen über die RAF sprechen

Die Begegnung lief beinahe so gemütlich ab wie ein Familientreffen. In Bad Boll kamen ehemalige Gefolgsleute der Rote Armee Fraktion (RAF) mit ihren damaligen Richtern und Gefängniswärtern zusammen  ■ Von Patrik Schwarz

Den dritten Tag hintereinander sitzt die ehemalige Terroristin Silke Maier-Witt jetzt schon mit Leuten beisammen, die sie von Staats wegen verfolgt und verurteilt haben.

Mal gibt es Kaffee und Quarktaschen, mal Schinkenbrot und Kartoffelsalat. Täuscht die Idylle? Der Anblick erinnert an ein Familientreffen. Silke Maier-Witt lächelt bei der Vorstellung. „Das hat was davon.“ Wer an diesem Wochenende der Einladung der Evangelischen Akademie Bad Boll zur persönlichen Begegnung gefolgt ist, teilt zumindest eine gemeinsame Vergangenheit. „RAF-Geschädigte“ nennt ein Teilnehmer lapidar die Menschen, die auf ganz unterschiedlichen Seiten in die Konfrontation zwischen Staat und Rote Armee Fraktion (RAF) verwickelt waren. Silke Maier-Witt gehörte der RAF in den 70er Jahren als aktives Mitglied an, wurde später in die DDR ausgeschleust, nach dem Mauerfall entdeckt und im vereinten Deutschland vor Gericht gestellt.

Doktor Kurt Breucker ist ohne Leibwächter gekommen. Jahrelang begleiteten die Personenschützer seine Kinder in den Kindergarten und ihn beim Langlaufski. In den siebziger Jahren war Breucker der jüngste unter den Richtern in den Stammheim-Prozessen. Mitte des Jahres geht er in Pension. „Der kam sogar auf mich zu, hat mir die Hand geschüttelt und ein bißchen was von sich erzählt.“ Maier-Witt ist die Überraschung anzuhören. Es war nicht die erste Begegnung der beiden. An Breuckers Gericht war Maier-Witt zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, fünf mußte sie absitzen.

Worüber sie mit Breucker sprach? Er habe davon geredet, daß die Gerichte in der Zeit der Stammheimprozesse überlastet waren, erzählt Maier-Witt. „Das fand ich schon sehr persönlich.“ Daß Aussagen zur Arbeitsbelastung der Justiz in den 70er Jahren bereits den Charakter persönlicher Offenbarungen haben können, verrät, wie vorsichtig die Annäherung auch 20 Jahre nach dem Deutschen Herbst noch vonstatten geht. Immerhin, meint die 49jährige, sei es „nicht mehr so, daß floskelhaft darauf beharrt wird, es war alles rechtens. Das ist schon unendlich viel.“

Einen entscheidenden Grund dafür nennt Volkhard Wache, der bei der Bundesanwaltschaft für den Bereich Terrorismusbekämpfung zuständig ist. Ja, auch in der Justiz sei „das Angstgeflecht“ nicht mehr so beherrschend, sagt er. Früher habe man sich in seiner Rolle stets „als Staatsverbrecher an die Wand gedrückt“ gefühlt. „Das hat sich ganz entscheidend geändert, auch bei der Behörde, für die ich arbeite.“ Von der Rückschau spricht Wache, die doch die Sicht verändere, und macht damit deutlich, wie sehr das Thema RAF seit deren Selbstauflösung im vergangenen Jahr auch für die Behörden an Brisanz verloren hat. Da klingt es fast wie eine Geste des guten Willens, daß er seinen Auftritt in Bad Boll nutzt, um für Mai die Entlassung von Sieglinde Hofmann nach knapp zwanzig Jahren Haft anzukündigen.

Viele Teilnehmer sitzen bei den Diskussionen in Bad Boll wach aber still in der Ecke. Erst sanftes Nachbohren enthüllt einen ganz persönlichen Bezug zum „Deutschen Herbst“ von 1977. Der freundliche Herr in einer Trachtenjacke mit Hirschhornknöpfen zum Beispiel. „Damals“, in Stammheim, war er als Vollzugsbeamter für den 7. Stock zuständig, in dem sich nach der gescheiterten Landshut-Entführung Baader, Ensslin und Raspe umbrachten. Warum er heute gekommen ist, zusammen mit seiner Ehefrau, obwohl er längst pensioniert ist, kann er selbst nicht recht in Worte fassen. Wichtig für die Gesellschaft sei das Thema, meint er dann zögernd. Ein Gefängnisleiter aus Baden-Württemberg, der privat und ebenfalls in Begleitung seiner Frau angereist ist, sagt: „Diese Terroristen haben in uns eine Seite angerührt, im Gegensatz zu den Feldwaldundwiesenkriminellen.“