Musik als Ohrenputzer

■ Wolfgang Ott über seinen seltsamen Job an der Bremer Musikhoch-schule: ein Dirigierkurs ausschließlich für KomponistInnen

Wolfgang Ott ist erster Kapellmeister an der Bonner Oper. Davor fiel er am Oldenburgischen Staatstheater durch seinen Einsatz für zeitgenössishe Musik auf. Dort studierte er Adriana Hölszkys Genet-Oper „Die Wände“ ein, eine Aufführung, die die Rezensentin der ZEIT zu der euphorischen Überschrift hinriß: „Nach Oldenburg!“. Wolfgang Ott betreut an der Musikhochschule in Bremen einen Lehrauftrag „Dirigieren für Komponisten“. Da stutzt der Leser/Hörer/Konzertbesucher. Warum müssen Komponisten dirigieren lernen? Und wenn, können sie es nicht innerhalb der regulären Dirigentenausbildung, die ja immerhin angeboten wird? Morgen abend leitet Wolfgang Ott dieUraufführung „Mul-Le“ (Spinnrad) seiner koreanischen Kompositionsstudentin Jin-Ah Ahn.

Ute Schalz-Laurenze: Herr Ott, um was handelt es sich denn genau bei Ihrem geheimnisvollen Auftrag?

Wolfgang Ott: Wenn ich das wüßte. Ich bin da eher mal Mädchen für alles. Younghi Pagh-Paan und Maria Kowollik (die Professorinnen für Komposition und Gesang, Anm. d.R.) spürten wohl, daß studierende KomponistInnen eine umfassendere Betreuung brauchen. Es geht um viel mehr als nur ums Dirigieren, es geht um das Wissen um diesen Beruf, es geht um das Wissen gegenüber Orchestermusikern, die eben manchmal nicht wissen, was eine Flatterzunge oder Mehrklänge sind.

Es ist ja bekannt, daß bei vielen Hochschullehrern die Berührungsangst gegenüber neuer Musik noch immer groß ist... ?

Genau. Aber das könnte sich jetzt ändern, wenn zum ersten Mal zwei Semester Ensemblespiel in zeitgenössischer Musik für das Examen obligatorisch ist.

Was ist denn eigentlich so anders beim Dirigieren neuer Partituren? Ist es das Lesen der Handschriften?

Ja, sicher, das ist eins. Aber das ist nicht so wild, es ist wirklich nur ein kleiner Sprung, zu dem man allerdings bereit sein muß. Und anders ist, daß einem sehr viel mehr, bzw. andere Bewegungen und Zeichen einfallen müssen...

Daß neue Musik nicht spielbar ist, hat ja Tradition. Von Beethoven, dessen Geiger Schuppanzigh es abgelehnt hat, die späten Quartette zu spielen bis zu Bernd Alois Zimmermann, bei dem die Ablehnung der Oper „Die Soldaten“ durch Michael Gielen leider zur Vernichtung der Partitur geführt hat. Im nachhinein hat sich das immer als falsch erwiesen. Ist Ihnen auch einmal eine solche Partitur begegnet?

Nein. Ich gehe damit etwas pragmatischer um, es können sowieso immer nur 80% gespielt werden. Man muß das ernst nehmen und sich bemühen, so weit es eben geht. Ich käme nicht auf die Idee, einem Komponisten zu sagen, das ist nicht spielbar, auch nicht bei Studenten. Aber genau damit müssen sich die Dirigenten auseinandersetzen und das ist qualitativ etwas anderes als bei historischer Musik.

Erfordert denn auch der Betrieb selbst eine größere Flexibilität in der Kompetenz?

Ja, natürlich. Junge Komponisten haben häufig mehr Aufführungschancen, wenn sie selber dirigieren können.

Wie ist denn die konkrete Situation bei dem Stück von Jin-Ah Ahn, das heute abend aufgeführt wird?

Mit traditionellen Mitteln kommt man da nicht weiter, obschon die Partitur durchaus traditionell aufgeschrieben ist. Schon eine einfache Vierteltönigkeit ist unglaublich schwer. Jedes Instrument ist zum Beispiel sehr überfrachtet und wir haben räumlich sehr viel ausprobieren müssen, um eine Transparenz zu erreichen. Ich könnte niemals in einer Jury sein und Musik auf dem Papier beurteilen. Für mich gilt machen, machen, machen. Das vermittle ich auch den Studenten.

Der Dirigent Michael Gielen hat einmal gesagt, wenn man neue Musik macht, hat das Folgen für die Interpretation älterer Musik...?

Genau. Ich empfinde Neue Musik immer als Ohrenputzer und mir fallen dann in alter Musik ganz andere Dinge auf. Zum Beispiel fällt mir in „Die Hochzeit des Figaro“, die ich jetzt in Bonn dirigieren werde, auf, daß Mozart immer andere Schlußakkorde schreibt: mit Fermaten, ohne Fermaten, abgerissen, lang...das ist unglaublich.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Heute, 20h, Konzertsaal der Hochschule für Künste, Dechanatstraße 13: Ju-Seub Lim (Sijo III für Schlagzeug solo, 1997), Jin-Ah Ahn (Mul-Le für Kammerensemble), Strawinsky (Die Geschichte vom Soldaten)