Zum freien Willen   ■  Von Thomas Gsella

Solitär gepolte Bürger/innen muß es schließlich auch geben. Das breite Volk, die dicke Masse will aufschauen zu Personen, die anders sind als wie sie selbst. Ich will so sagen: Der genormte Massenmensch und außengeleitete Ödipus zeigt sich im Winter verschlossen, im Frühling aufgeräumt, im Herbst dann melancholisch usw. Morgens ist er muffelig, abends will er Thrill, Kick, Trash und Schlingensief-Deleuze-Guattari-Parties mit schön fett Cyber und Event dran. In die Koje geht der schlichte Mister Rundgeschliffen so um zwei, doch gibt es Kinder, ist die Richterskala oft nach unten offen. Man könnte mehr über diesen genormten kleinen Willi von der Straße sagen, zum Beispiel, daß er im Alter zwischen 30 und 41 kaum einmal erwägt, ins Altersheim zu wechseln. Und warum? Nun, hier mag man sich vor Augen führen, welche Macht Erziehung und zumal Gesellschaft über jeden einzelnen ausüben tun. Schon vom Vater lernt das Neugeborene, daß es nicht antriebsarm und ruhig sein darf, sondern erst die sonnige Kindheit absolvieren muß und dann das Erwachsenenleben: Grundschule, Schule, Lehre, für die oberen „Zehntausend“ Universität und abends immer streng zum Schlingensiefgepolter und dann, zwischen 30 und 65, die faschistische Erwerbsarbeit. Aber das muß nicht sein.

Auf die Idee bin „leider“ gar nicht ich gekommen. Aber etwa vor zwei Wochen oder Jahren saß ich mit meinen Lebensabschnittspartnern (nennen wir sie X und Y) Martin und Heribert in unserer Anarcho-Kommuneküche unterm Dach, wir guckten aus dem Fenster und betrachteten mit Ingrimm Tauben. Irgendeiner aus unserem Haus hat nämlich wohl ein Speicherfenster aufgelassen, und nun ist der Salat perfekt. Ich glaube, im ganzen anarchistischen Europa gibt es keine Kommune, deren Speicher so versetzt mit Taubenhaufen ist als eben als wie unserer. Es müssen da Trillionen reingeköttelt haben. Betreten oder angucken können normalgepolte Mustermänner diesen Speicher nicht mehr. Wir auch nicht. Es ist ein einziger Mist, und eigentlich müßte Kofi Annan das Haus verbieten. Von daher wehte unser Ingrimm.

Zum freien Willen: Wir saßen also am Kommunetisch beim Frühstück und pflegten eine Taubenaversion. Martin goß sich Kaffee ein, ich qualmte majestätisch, und wie üblich war der Kommunikationsbedarf nicht überlebensgroß. Schweigen herrschte. Plötzlich nahm sich Heribert (41) ein Herz und sprach: „Ich will ins Altersheim.“ Intoniert war es im coolen Brustton sternenheller Buddhaschaft, doch während ich einer heranflatternden Taube verlegen bedeutete, unsere Kommune zu umfliegen, das Speicherfenster sei inzwischen zu, tat Martin gar nichts. Gefaßt erwartete er Neuerliches seitens des Erlösten. Es lautete: „Denn seht, so ist es gut. Sich in ein Heim hineinlegen und endlich Ruhe haben. Und wenn man in die Windeln macht, dann kommt die Schwester.“ Ich will so sagen: nicht nur das. Einkaufen und Zähneputzen entfallen ebenso wie Pläneschmieden, Karrieredenken, allgemein der präturbopostkapitalistische Mobilitätsfetisch sowie jedwede Suche nach den Kernen unsres Selbers. Und natürlich unser freier Wille. Der ist dann weg. Hm. Schade? Nein. Aber da sieht man's mal wieder ...